Spätnachts landete der amerikanische Präsident Joe Biden am Münchener Flughafen. Als er deutschen Boden betrat, bekam er bayrische Tradition zu Gesicht. Noch am Rollfeld standen Frauen in Dirndln Spalier. Im Dekolleté steckten, als wären die Damen lebende Vasen, bunte Blumensträuße. Ebenfalls in bayrischer Tracht, himmelblauer Krawatte und breitem Lächeln gekleidet, begrüßte CSU-Ministerpräsident Markus Söder den US-Präsidenten, bat Biden um ein Autogramm für das Gästebuch.
Wie viel Deutschland steckt in Bayern?
Danach ging es, gesäumt von Männern in üppiger Lederhosentracht Richtung G7-Gipfel. Während die Mächtigsten der Welt über die Zukunft des Planeten beraten, war in Deutschland eine Debatte um die Selbstinszenierung Bayerns entfacht. Darf ein Gastgeberland nach Außen so einseitig und urig repräsentiert werden? Ist das noch Deutschland? Oder kann das (nur) Bayern?
Harsche Kritik gab es nicht nur im Netz, wo Vergleiche mit Monty Pythons legendärer Bavaria-Szene gezogen wurden. So merkten ausländische Journalisten, darunter der britische Kolumnist Ian Bremmer, an: "Für mich ziehen sich die Deutschen nie so an, wenn ich zu Besuch komme". Der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Jan Philipp Albrecht, stellte wiederum die kritische Frage: "Welche Gesellschaft soll das abbilden?" Rückendeckung bekam Söder indes vom bayrischen FDP-Chef Martin Hagen, der entgegnete, es sei doch besser, wenn Deutschland mit Trachten in Verbindung gebracht würde, denn "Vorher dachte man nämlich an Pickelhauben".
Auch Deutschlands Zeitungen stellten den Griff in die Klischeemottenkiste infrage. "Endlich indigene Völker beim G7-Gipfel" titelte die TAZ auf der Titelseite. Ein satirischer Wink mit dem Zaunpfahl, denn am Gipfel beratschlagt eine privilegierte, westliche Minderheit über den ganzen Kontinent und teilt diesen förmlich alleine untereinander auf.
Aus hiesiger Sicht erinnerte der Empfang an einen weiteren Film: "Das Fest des Huhns". In der 1992 veröffentlichten Österreich-Mockumentary (eine satirische Form der Dokumentation) dringt der zentralafrikanische Forscher Kayonga Kagame tief ins rätselhafte, traditionsbewusste Oberösterreich ein. Dokumentiert die Rituale des österreichischen Urvolks zwischen Hopfen-Heiterkeit und Grillhendl-Opferkult.
Des Kaisers nicht so neue Trachtenkleider
Dass der bayrische Ministerpräsident, der sich nur allzu gerne als heimlicher Kaiser der Bundesrepublik Deutschland inszeniert, folgerichtig mit des Kaisers gar nicht so neuen Trachtenkleidern um die Gunst der Mächtigen buhlt, verwundert nicht. Es ist ein altbekanntes Charakteristikum des bayrischen Freistaats, sich als traditionsbewusste und zukunftssichere Konstante im unübersichtlichen, bunten Deutschland zu zeigen. Als Quasi-Gegenentwurf zur lauten Hauptstadt.
Bayern ist im deutschen Gefüge ein Phänomen, ja, eine Art Schattengestalt. Das restliche Deutschland behandelt den Freistaat gerne stiefmütterlich. Gerne grenzt man sich vom Süden als moderner Norden arrogant ab.
Als größtes und zweitreichstes Bundesland, das zudem eine international beliebte Millionenmetropole beheimatet, nimmt man sich aus bayrischer Sicht hingegen gerne das Recht heraus, an die eigene Größe und politische Wichtigkeit zu erinnern. Aus gutem Recht und verständlichem Trotz. Denn Bayern ist mehr als Lederhose.
Aber wie viel Bayern verträgt Deutschland? Nicht viel, wie die derzeitige Debatte in der Bundesrepublik zeigt. Deutschland schafft seine Traditionen gerne ab, aus Angst, zu wenig modern zu erscheinen. Vielerorts reagiert man peinlich berührt ob der traditionsreichen Selbstdarstellung. Eine selbstentlarvende, gar nicht so weltoffene Haltung.
Natürlich ist es längst Tradition geworden, über Tradition zu diskutieren. Jedoch lässt die Kritik an Söders Vorgehensweise die Ausschreitungen vergangener G7-Gipfel im Norden Deutschlands außen vor. Kritiker müssen sich die Frage gefallen lassen, ob der Folklore-Reigen denn den einzigen Aufreger des G7-Gipfels darstellt. Wie Berichte zeigen, hielt sich der Protest rund um das Treffen in Grenzen. Nur 4.000 Demonstranten kamen zu einer Protestkundgebung in München, erwartet worden waren 20.000.
Ob man den Lederhosenkult im selben geografischen Setting, in dem Adolf Hitler einst sein Berchtesgaden-Refugium aufschlug und Burschen und Mädchen mit Zöpfchen und Tracht aufpilgern ließ, inszenieren muss, ist eine andere Frage. Ihr muss sich Söder stellen. Vor allem, wenn er weiterhin die Rolle des zweiten, traditionsbewussten, aber weltmännischen Bundeskanzlers anstrebt.
Ein ritueller Abschied in "Eintracht"?
Vielleicht war es aber auch einfach ein kalkuliert-pompöser Abschied in "Eintracht".
Nach dem G-7-Treffen in Elmau will Bayern nämlich auf "absehbare Zeit" nach Worten von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) keinen großen internationalen Polit-Gipfel mehr ausrichten. "Bayern kann Gipfel", sagte Söder am Dienstag in München. Das habe der Freistaat in den vergangenen Tagen bewiesen. Er fügte hinzu: "Jetzt ist aber auch mal wieder gut."
Bayern habe seine Pflicht getan, sagte Söder. Der Freistaat war auf Schloss Elmau Ausrichter für die letzten beiden G7-Gipfel unter deutscher Gastgeberschaft 2015 und 2022. Für den nächsten G7-Gipfel in Deutschland, voraussichtlich 2029, schlug er andere Bundesländer vor. Statt der Gebirgsschützen und Trachtler, die bei den ausländischen Gästen großen Anklang gefunden hätten, könne man etwa einen Shanty-Chor oder einen Bergmannschor einladen, schlug Söder gewohnt spitz in Anspielung auf nördlicher gelegene Bundesländer vor. Ein G20-Treffen steht nach Hamburg im Jahr 2017 in Deutschland turnusmäßig erst wieder im Jahr 2037 an.