Zugpendler und andere Bahnreisende in Großbritannien müssen in den kommenden Tagen weitgehend auf andere Fortbewegungsmittel ausweichen: In Großbritannien hat am Dienstag der größte Bahnstreik seit 30 Jahren begonnen. Im Kampf für höhere Löhne und gegen Stellenabbau wurden in der Früh die ersten Streikposten bezogen. Mehr als 40.000 Eisenbahner dürften sich an dem Ausstand beteiligen und so etwa die Hälfte des britischen Schienennetzes lahmlegen. Die Londoner U-Bahn war wegen eines separaten Streiks ebenfalls überwiegend außer Betrieb. Die Eisenbahner wollen auch am Donnerstag und Samstag streiken.
"Sommer der Unzufriedenheit"
Der Ausstand ist nach Ansicht der Gewerkschaften nur der Auftakt für einen möglichen "Sommer der Unzufriedenheit", in dem auch Lehrer, Mediziner und sogar Anwälte in den Arbeitskampf treten werden. Viele Briten leiden unter steigenden Preisen für Lebensmittel und Kraftstoff.
Premierminister Boris Johnson warf den Gewerkschaften vor, gerade jenen zu schaden, denen sie helfen wollen. "Mit diesen Streiks vertreiben sie Pendler, die letztlich die Jobs der Eisenbahner sichern", sollte Johnson laut einer Mitteilung seines Büros bei einer Kabinettssitzung am Dienstag sagen. Die Folgen des Ausstands würden Unternehmen und Gemeinden im ganzen Land zu spüren bekommen.
Verkehrsminister Grant Shapps kündigte eine Gesetzesänderung an, die Bahnbetreiber zu einer Minimal-Versorgung an Streiktagen verpflichtet und die Vertretung von streikendem Personal durch Ersatzkräfte erlaubt. "Wir werden dafür sorgen, dass solche Dinge in Zukunft weniger Schaden anrichten", sagte Shapps dem Sender Sky News.
Hohe Inflation
Die britische Wirtschaft hatte sich zunächst gut von der Coronapandemie erholt. Eine Kombination aus Arbeitskräftemangel, gestörten Lieferketten, Inflation und Handelsstreitigkeiten nach dem Brexit kann Experten zufolge aber zu einer Rezession führen. Die britische Inflationsrate erreichte im April ein 40-Jahres-Hoch von 9 Prozent. Erwartet wird, dass im weiteren Jahresverlauf die Marke von 10 Prozent übertroffen werden dürfte.
Der aktuelle Arbeitskampf hat Vergleiche mit den 1970er Jahren aufgeworfen. Damals gab es in Großbritannien eine Serie von Streiks, die schließlich in den "Winter der Unzufriedenheit" 1978/79 mündete. Die jetzigen Streiks finden zu einer Zeit statt, in der Reisende auf britischen Flughäfen aufgrund des Personalmangels Verspätungen und Annullierungen in letzter Minute hinnehmen müssen. Zudem müssen viele Briten aufgrund der Verzögerungen bei der Bearbeitung monatelang auf neue Pässe warten.