Johnny Depp galt als der Unangepasste Hollywoods. Und mit seiner Filmreihe „Fluch der Karibik“ wurde er ab 2006 nicht nur sehr reich, sondern etablierte auch einen neuen Männertypus. Einen, der die ironische Brechung liebt und der sich an keine Stereotype hält. Auch nicht an die eines „echten“ Mannes. Er hieß: Captain Jack Sparrow.
Seit Wochen hat Depp (58) genau diese Rolle im Gerichtssaal in Fairfax, Virginia, eingenommen. Der oscarnominierte Schauspieler konnte damit seiner immens großen Fangemeinde genau das liefern, womit man auf TikTok, Instagram und Twitter gut arbeiten kann. „Depp hat viel Material angeboten, viele Reactions, die ironisch und lustig waren und mit denen man eigene Inhalte bauen konnte. Amber Heard hingegen gab sich streng, zurückhaltend, eine positive ,Memefizierung’ war mit einem Augenrollen oder einem affektiert genommenen Taschentuch nicht möglich.“ Das sagt die deutsche Popkulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout.
Der Verleumdungsprozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard (36) wurde in den letzten sechs Wochen vor allem auf Social Media verhandelt. Und durch die Erlaubnis des Gerichts, tatsächlich alles via Livestream zu übertragen, wurden daraus ein weltumspannender Schauprozess und eine Video-Bühne, auf der sich Johnny Depp weitaus leichter tat als Amber Heard.
Am Mittwochabend mitteleuropäischer Zeit sollte diese Angelegenheit ein (zumindest gerichtliches) Ende finden. Gegen 21.30 Uhr wurde das Urteil verkündet. Dieses finden Sie hier.
Erkenntnis Nr. 1: Johnny Depp ist vermutlich der bessere Schauspieler, und er musste, im Gegensatz zu Amber Heard, seine Rolle für den Gerichtssaal nicht ändern. Heard hingegen lehnte die Rolle des Opfers ab, aber entgegen ihrem sonstigen Image als verführerische Femme fatale trat sie im Gericht hochgeschlossen und streng auf.
Erkenntnis Nr. 2: Glaubwürdigkeit war in diesem Prozess Gold. Die Erzählung von einem zu Unrecht beschuldigten Mann wurde von Depp insofern perfekt bedient, als er mit seiner Gelassenheit neben den teils spitzen, aber humorvollen Bemerkungen bei seinen Fans noch Vertrauen und Unterstützung erfuhr.
Natürlich entscheiden am Ende das Gericht und die Geschworenen darüber, ob Johnny Depp Amber Heard misshandelt hat oder ob, wie Depp sagt, Amber Heard die Täterin ist.
Dahinter geht es aber um die Rezeption in den Sozialen Medien und um die gnadenlose Polarisierung zwischen zwei Armeen. Die hinter Johnny Depp ist vielfach größer als jene hinter Amber Heard. Mehr als 15 Milliarden Mal wurde der Hashtag #JusticeForJohnnyDepp aufgerufen, nur 8,2 Millionen bekam #IStandWithAmberHeard.
Amber Heard erhielt Morddrohungen und in den Videos wurde sie permanent entwürdigt. Das ist schrecklich, aber es macht sie nicht unschuldig. Oder glaubwürdiger.
Erkenntnis Nr. 3: Die massive Vorverurteilung dieses Echtzeit-Streaming-Prozesses förderte die gesamte Hässlichkeit eines Social-Media-Gerichts zutage. Mit zwei Verlierern. Aber gutem Stoff für eine TV-Serie. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese tatsächlich kommt.
Video: "Warum sind gefühlt alle Team Johnny?"
Dem Verleumdungsprozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard haben sich auch die Kolleginnen der jungen Generation der Kleinen Zeitung gewidmet (Kleine Zeitung Next) - und zwar in einer Folge des Video-Formats "Was geht?".