"Scripted Reality", das ist eine mittlerweile wohlbekannte Spielart des sogenannten Reality-TV, in der dem (natürlich eingeweihten) Zuschauer die Dokumentation realer Ereignisse vorgegaukelt wird. Insgesamt eine bizarre Angelegenheit, inszeniert mit dem Griff in den Klischee-Werkzeugkasten und eher nicht eines Oscars verdächtigen Darstellern. Diverse "Gerichtsshows" etwa kennt man seit Jahrzehnten aus dem linearen TV-Nachmittagsprogramm der Privaten.
Was aber, wenn das, was offenbar real ist, jede "Scripted Reality" übertrifft bzw. besser: "untertrifft"? Dann ist man im Schauprozess zwischen Johnny Depp, dem etwas verlebten Hollywood-Beau früherer Tage, und seiner ehemaligen Gemahlin und Schauspielkollegin Amber Heard angekommen. Schwere, jedenfalls aufzuklärende Vorwürfe der häuslichen, von Drogen und Alkohol befeuerten Gewalt stehen im Raum. Depp verklagte seinerseits Heard wegen Verleumdung, ihm gehe es schließlich um seinen guten Ruf. Was hier zu hören ist, hinterlässt einen ziemlich fassungslos: Exzesse. Narzissmus. Psychokrisen. Ungustiöses. Alles in Rückblenden konzentriert. Was tatsächlich in den offenbar ziemlich bald albtraumhaften 15 Monaten Ehe passierte und was davon juristisch Substanz hat – darüber muss am Ende ein Geschworenengericht entscheiden.
Die Show ihres Lebens? Kaum, vermutlich tragen hier beide Seiten ihre Karriere zu Grabe. Die Verhandlung ist eine Groteske, an deren Ende im Leben der Beteiligten kaum ein Stein auf dem anderen Stein stehen dürfte. Kein intimes Detail, keine Anschuldigung und beinahe keine Körperstelle werden ausgespart. Und: Die Schlammschlacht wird von Gerichtskameras live übertragen. Im US-Bundesstaat Virginia, wo der Prozess abgehalten wird, ist das möglich. Und Millionen schauen zu. Es gehe um "Gewalt, Missbrauch, Fingerkuppen, Kot und Millionen von Dollar", wie die "Neue Zürcher Zeitung" schrieb. In den ersten Tagen im Zeugenstand erhob Heard schwere Vorwürfe. Depp ist hinter der getönten Brille regungslos, während seine Persönlichkeit vor Gericht seziert wird. Gesund wirkt hier nichts.
Der Prozess, der am 12. April begann, soll noch mehrere Wochen dauern, wurde aber nun bis 16. Mai vertagt. Heard dürfte weiter befragt werden, nicht zuletzt im Kreuzverhör von Depps Anwälten. Neben Assistenten der Schauspieler kamen bereits Polizisten, Finanzberater, diverse Zeugen und nicht zuletzt gut beschäftigte Psychologen zu Wort. Und der Zuschauer? Der, der "es" sich wirklich antun will, wird zum Voyeur, nimmt – hart im Nehmen – Anteil am Unsäglichen. Wir leben in einer Zeit, in der an Verrohung wahrlich kein Mangel besteht, hier sind zwei gefallene Stars zu sehen: Gefallen vermutlich über sich selbst und verhängnisvolle Abhängigkeiten. Gar nicht so fröhliches Zerfleischen – der Zuschauer kann sich auf eine Seite schlagen.
Willkommen im schlammgefüllten Jammertal, an dessen Ausgang sich der Zuschauer womöglich doch einigermaßen dankbar und zufrieden in seinem eigenen Leben wähnt.