Ich sitze bei Sterbenden, ich organisiere Nahrungsmittel, ich kümmere mich um Leprakranke, die von niemandem besucht werden.“ Die Wiener Psychotherapeutin und Sozialarbeiterin Claudia Villani reiste zehn Jahre durch Pakistan, um zu helfen. Als eine von vier Helferinnen arbeitete sie in einem afghanischen Flüchtlingslager in der Nähe von Karachi. 120.000 Afghanen leben hier im Elend.

"Eine Mutter reichte mir ihr drei Monate altes Kind unter der Burka hervor. Es atmete nur noch ganz flach. Das kleine Mädchen hatte keine Kraft mehr, nicht einmal, um zu wimmern. Verhungern ist ganz, ganz leise." Villani konnte das Baby der Mutter nur zurückreichen - tot.

Claudia Villani hat das Feeding Program gegründet, das verhungernde Kinder retten soll
Claudia Villani hat das Feeding Program gegründet, das verhungernde Kinder retten soll © KK

Laut UNO befinden sich derzeit etwa 1,45 Millionen Flüchtlinge in Pakistan. 99 Prozent davon sind Afghanen, die Dunkelziffer ist vermutlich weitaus höher.

Dabei reichen die Ressourcen noch nicht einmal für die Pakistani aus. "Sie fragen mich: Warum kommst du aus Österreich, um afghanischen Kindern zu helfen, wenn unsere Kinder sterben?", erzählt Villani betroffen. Das Unverständnis über die österreichische Regierung, die angesichts der aktuellen Afghanistan-Krise, weitere Flüchtlinge nach Pakistan abzuschieben wollte, ist bei Villani daher sehr groß.

Wasser ist Mangelware

Das größte Problem ist der Wassermangel. "Im Durchschnitt kann sich eine Familie von zehn Mitgliedern einen 20-Liter-Wasserkanister am Tag leisten. Das muss für Trinken, Kochen, Wäsche waschen und Hygiene für alle reichen", sagt Villani. Die Qualität des Wassers sei minderwertig. "Fast alle medizinischen Probleme, allen voran Infektionskrankheiten, aber auch Dehydration, lassen sich auf das verschmutzte Wasser zurückführen."

Von 2009 bis 2019 half Villani vor Ort, aufgrund der Pandemie musste sie nach Hause. Täglich steht sie jedoch im Kontakt mit Bekannten aus Pakistan. "Die Menschen sterben auf den Krankenhausgängen", sagt sie betroffen.

Der Wunsch zu helfen

Sobald es möglich ist, wird sie wieder zurückkehren. Immer schon wollte sie helfen. Mit 53 Jahren, als ihre drei Kinder alt genug waren, ließ sie ihren Traum wahr werden. Ermutigt wurde sie durch Ärztin und Ordensfrau Dr. Ruth Pfau. Durch sie wurde Villani Teil der Organisation MALC, die Lepra bekämpft.

Ihre Arbeit treibt Villani oftmals an ihre Grenzen. Einer der dunkelsten Momente war der Anschlag von Taliban auf eine Militärschule in Peschawar im Dezember 2014. 141 Menschen starben, darunter 132 Kinder.

"Es gab Familien, die haben drei bis fünf Kinder verloren. Manche Eltern haben all ihre Kinder verloren. Lehrer wurden vor den Augen der Kinder verbrannt."

Villani wollte den traumatisierten Menschen beistehen. "Jeder wusste: Es gibt keinen Platz mehr in Pakistan, der nicht von Taliban eingenommen werden kann." Besonders schockierend für die 66-Jährige: "Sie alle sagten: "We believe in guns now." Sie dachten, wenn sie mehr Waffen gehabt hätten, wäre der Anschlag vermeidbar gewesen."

Wie sie mit all dem Leid umgeht? "Während ich in Pakistan bin, funktioniere ich. In einer Notsituation handelt man ganz klar und gerade." Erst, wenn ihr Flugzeug zu Hause in Wien landet und sie in Sicherheit ist, fangen ihre Knie an zu schlottern. "Die ersten zwei Wochen nach meiner Rückkehr geht es mir immer sehr schlecht", erzählt sie. Trotzdem will sie immer wieder zurück.

Claudia Villani mit Fatima, die als Kind von ihren Eltern im Wald ausgesetzt wurde, da sie an Lepra erkrankt war
Claudia Villani mit Fatima, die als Kind von ihren Eltern im Wald ausgesetzt wurde, da sie an Lepra erkrankt war © KK

"Die Menschen sind so dankbar"

Tief ins Gedächtnis eingegraben hat sich bei ihr der Rückflug nach Karachi nach dem schrecklichen Attentat in Peschawar. Unterwegs unterhielt sie sich mit einem pakistanischen Journalisten. "Ich spreche ihm mein Mitgefühl aus und auf einmal springt er auf und schreit: Jihad! Jihad Jihad!"

Villanis Herz begann zu rasen, bis sich auf einmal alle Männer vor ihr in die Knie gingen und sich verbeugten. Verwirrt fragte sie den Journalisten, was er denn gesagt habe. "Ich habe den Brüdern erklärt, dass diese Frau aus dem Westen den richtigen Weg geht. Den Weg des Jihad."

Dieses kleine Mädchen hat überlebt
Dieses kleine Mädchen hat überlebt © KK

Beeindruckt hat Villani das gemeinsame Beten von Muslimen, Hindu und Christen. Der Glaube ist ihr sehr wichtig. "Ohne ihn könnte ich nicht arbeiten. Ich habe immer das Gefühl, ich stehe vor einer überlaufenden Badewanne. Mit einem Teelöffel versuche ich, sie leer zu schöpfen. Erfolg sehe ich keinen." Gleich darauf korrigiert sie sich selbst: "Nein, das stimmt nicht. Es gibt Kinder, die würden ohne mich nicht leben."

Beim gemeinsames Beten zählt nur der Glaube, die Religion spielt keine Rolle
Beim gemeinsames Beten zählt nur der Glaube, die Religion spielt keine Rolle © KK