Im Februar 2004 wurden Sie in den Irak-Krieg einberufen. Mit welchem Gefühl gingen Sie dorthin?
Jeff Montrose: Als wir im Irak eingesetzt wurden, war die Rationalisierung des Krieges die konkrete Bedrohung von angeblich existierenden Massenvernichtungswaffen. Die meisten von uns hatten schon von Beginn an Zweifel. Im Laufe des Einsatzes wurde klar, dass es diese Waffen nie gab. Wir haben uns gefragt: ‚Wozu sind wir hier? Was machen wir hier eigentlich?‘ Wir bekamen jeden Tag bestimmte Aufgaben, die höchst gefährlich waren. Anfangs kam ich als Zugsführer in den Irak. In meinem Zug waren etwa 20 Soldaten. Am Ende des Einsatzes war die Hälfte des Zuges entweder gefallen oder so schwer verwundet, dass sie evakuiert werden mussten. Wir wussten nicht, wozu das führen soll, das war uns wirklich völlig unklar. Schließlich kam der Punkt, an dem ich zu mir sagte: 'Ich kann nicht mehr im Irak dienen.'
Sie sind mit 17 Jahren zur Army. Hat Sie Uncle Sam (I Want You For U.S. Army) von der Rekrutierung überzeugt?
Das hatte verschiedene Gründe: Es war 1989 – vor dem Mauerfall. Es gab noch die Sowjetunion und den Kalten Krieg, also eine klare Sicherheitsbedrohung für die USA. Mein Staatskundelehrer hat uns in der Schule auch das Konzept der Demokratie und die Tugenden in einer Republik, nämlich dass man auch etwas zurückgeben muss, stark vermittelt. Und mit 17 hat man natürlich auch den Drang nach Abenteuern.
Die Sie später im Irak als Kompaniechef auch erlebten. Wie gestaltete sich Ihr Weg dorthin?
Ende der 80er bin ich als Mannschaftssoldat eingetreten, als einfacher Infanterist. Später bin ich zur Fallschirmjägereinheit gewechselt, wo ich zum Sergeant, Unteroffizier, befördert wurde. Nach einem Offiziersausbildungsprogramm erlangte ich 2001 den Offiziersrang Leutnant. Schließlich wurde ich in Nordbayern stationiert, bevor es in den Irak ging.
Über die Gründe der US-Regierung für den Irak-Krieg streitet man bis heute. Fand der Irak-Krieg letzten Endes nur statt, weil George W. Bush der Welt zeigen wollte, dass die USA die letzte verbliebene Supermacht sind?
Die Vereinigten Staaten haben diese zehn Jahre nach dem Kalten Krieg bestimmt ausgenützt. China war noch nicht auf dem wirtschaftlichen Niveau von heute, Russland hatte nach dem Zerfall der Sowjetunion große Probleme in der Gesellschaft. Der wahre Grund für den Irak-Krieg war der angestrebte Austausch des politischen Systems, im Schatten des 11. Septembers.
Sie sprechen den 11. September 2001 an, ist der Irak-Krieg eine direkte Folge der Terroranschläge?
Die Täter des 11. Septembers hatten nichts mit dem Regime im Irak zu tun. Aber neokonservative Politiker haben die Situation ausgenützt, um den Einmarsch im Irak zu rechtfertigen. Sie haben die Angst und Unsicherheit vieler Amerikaner missbraucht.
Im ersten Golfkrieg unterstützen die USA noch den Irak gegen den Iran, frei nach dem Motto ‚Der Feind meines Feindes ist mein Freund‘. Ein falscher Freund wie sich später herausstellt?
Die USA unterstützten hauptsächlich den Irak, man wollte aber erreichen, dass es keinen Gewinner dieses Konflikts gibt. Als Saddam Hussein 1990 in Kuwait einmarschierte, bemerkte man aber, 'der ist weder Feind noch Freund, sondern der ist unberechenbar.'
Am 1. Mai 2003 war das Regime gestürzt und Präsident Bush verkündete: „Mission Accomplished“. War diese Meldung etwas voreilig?
Es stimmte insofern, als das man Hussein und seine Unterstützer von der Macht verdrängen konnte. Dementsprechend haben sie ihre Vorstellungen erreicht, aber sie hatten keine Ahnung, was danach geschehen sollte. Keiner wusste, wie man das Land zu einer demokratischen Republik umbauen kann. Ich würde es nicht als Lüge bezeichnen, aber es war sehr naiv. Sie haben die Operation nicht langfristig durchgedacht. Der große Fehler war, dass man auf die Zeit danach total unvorbereitet war.
Ein Jahr später kamen Sie in den Irak und erlebten die Schrecken des Krieges hautnah. Wie darf man sich den Einsatz vor Ort vorstellen?
Im Irak wurde ich zum Kompaniechef befördert. Unser Einsatzgebiet war in Balad, nördlich von Bagdad. Dort waren wir für die Sicherheit eines riesigen Gebietes verantwortlich. Wir hatten zwei Aufgaben: gegen den Aufstand zu kämpfen. Dabei wurden wir jeden zweiten Tag von irgendeinem Angriff - etwa Sprengsätze, Raketen, Direktfeuer - getroffen. Aber wir hatten auch eine zivil-militärische Aufgabe. So haben wir sehr eng mit dem Stadtrat zusammengearbeitet. Straßen, Brücken, Kläranlagen – wir haben sie bei kommunalen Aufgaben beraten, die man in einem Staat machen muss. Außerdem haben wir viele Schulen gebaut oder erneuert, und bei der Ausrichtung der ersten freien Wahlen 2005 unterstützt: Hier führten wir beispielsweise die Wähler-Registrierung durch.
Was bleibt Ihnen vom Krieg besonders in Erinnerung?
Das war der allmähliche Abbau von Mitgefühl. Ich will nicht sagen, dass mir alles egal war, aber es ging in diese Richtung. Anfangs war es ein richtig gutes Gefühl, zum Beispiel unter Schulkindern Stifte und Blöcke zu verteilen. Nach zehn, elf Monaten war es keine Freude mehr, ich war völlig abgehärtet.
Die Einsätze des US-Militärs während der vergangenen 20 Jahre ließen traumatisierte Menschenleben auf beiden Seiten zurück. Wie erlebten Sie diese Kriege persönlich?
In großen Teilen Iraks ist das Leben der Menschen heute besser als unter Saddam Hussein. Aber der Preis, den die Bevölkerung durch die absolut unvorbereitete und unfähige strategische Führung der Amerikaner bezahlen musste, war enorm. Was Afghanistan betrifft, verwechseln die Menschen zwei Dinge: den Kampf gegen den Terror und die Nationenbildung. Letzteres ist in Afghanistan auf alle Fälle gescheitert. Was man aber bezüglich beider Einsätze sagen kann, ist, dass der Ruf der USA, man könne im Ausland Gutes bewirken, infrage steht.
Im Hinblick auf alle Auslandseinsätze erleben wir jetzt einen Wendepunkt: Die Gegner wissen, dass sie nur ein paar Jahre warten müssen, dann gehen die Amerikaner wieder weg. Sie denken sich: 'Dann sind wir wieder auf dem Markt.' Das ist im Rückblick eine äußerst gefährliche Lehre.
Simon Rothschedl