Waldbrände, Hitzewellen und Dürren – Südosteuropa bekommt die Folgen der Erderwärmung schmerzhaft zu spüren. In der Türkei oder in Griechenland nähern sich die Temperaturen in diesem Hitzesommer immer näher der 50 Grad-Grenze an. Hoch "Luzifer" beschert derzeit Italien die wohl heißeste Woche des Jahres, in Sizilien wurden 48 Grad gemessen.
Der Mittelmeerraum wird zu einem "Hotspot des Klimawandels", hielt der Weltklimarat IPCC jüngst in seinem neuen Bericht fest. Infolge des Klimawandels sei in Zukunft mit noch schlimmeren Wetterextremen zu rechnen. Das Mittelmeer verwandle sich zunehmend in ein "tropisches Meer", warnt der World Wildlife Fond (WWF): "Die Klimaveränderungen sind keine Bedrohung der Zukunft, sondern Szenarien von heute."
Doch trotz solch klarer und anhaltender Warnungen sind die betroffenen Länder – meist sind sie stark auf den Tourismus und intakte Natur angewiesen – meist säumig, was den Kampf gegen die Klimakrise anbelangt. Für die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan ist Klimaschutz keine Agenda, Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis feilt erst jetzt an einer grünen Trendwende. In Italien ruhen die Hoffnungen auf einem neuen Superministerium, in den meisten Balkanländern ist von nachhaltigem Klimamanagement noch keine Rede.
Türkei: Die ignorierte Klimakrise
Die schweren Waldbrände der vergangenen Wochen und die Verschmutzung des Marmara-Meeres bei Istanbul durch einen Schleimteppich haben deutlich gemacht, wie sehr die Türkei vom Klimawandel betroffen ist. In einigen Gegenden von Anatolien ist in diesem Jahr der Regen ausgeblieben – die Dürre war einer der Gründe für die Waldbrandkatastrophe. Andere Teile der Türkei werden von Starkregen und Überschwemmungen heimgesucht.
Dennoch spielt das Thema Klimawandel in der Politik kaum eine Rolle. Landwirtschaftsminister Bekir Pakdemirli verwies nach Veröffentlichung des Weltklimaberichts diese Woche zwar auf die geplante Aufforstung von Wäldern. Auch sollen erneuerbare Energien ausgebaut werden: Sonne und Wind liefern derzeit rund zwölf Prozent des Energiebedarfes der Türkei, dreimal so viel wie vor sechs Jahren.
Doch die Regierung beharrt darauf, mit milliardenschweren Infrastrukturprojekten aus Beton und Asphalt die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt anzukurbeln. Präsident Recep Tayyip Erdogan plant einen neuen Kanal zwischen Marmara-Meer und Schwarzem Meer bei Istanbul, der nach Meinung von Experten zu mehr Verstädterung und noch mehr Umweltproblemen führen wird. Dass so wenig über den Klimawandel gesprochen wird, liegt auch daran, dass die Behörden die Grüne Partei aus der Politik heraushalten wollen. Seit Herbst wartet sie auf die Zulassung durch das Innenministerium – normalerweise reine Formsache ist. So bleibt den Grünen nichts anderes übrig, als über soziale Medien Alarm zu schlagen.
Thomas Seibert, Istanbul
Griechenland: "Unser Klima kippt"
Es sind düstere Prognosen, die der Weltklimarat IPCC in seinem jüngsten Bericht aufstellt. Griechenland bekam einen Vorgeschmack. Erst wochenlang extreme Hitze, dann Feuerstürme: Die Menschen in vielen Teilen Griechenlands durchleiden den schlimmsten Katastrophensommer seit Menschengedenken. Auch wenn in den vergangenen Tagen die immer wieder neu aufflammenden Brände die griechischen Medien beherrschten und der Weltklimabericht zunächst wenig öffentliche Beachtung findet: Der Klimawandel ist jetzt als Thema angekommen.
"Unser Klima kippt", sagt der griechische Katastrophenforscher Costas Synolakis. Überrascht sei er, dass diese extremen Wetterphänomene schon jetzt so massiv auftreten, so Synolakis. Der Weltklimabericht prognostiziert häufigere Hitzewellen, größere Dürre und mehr Waldbrände. Laut IPCC werden sich die Waldbrandschäden in den europäischen Mittelmeerländern bei einem Temperaturanstieg von zwei Grad nahezu verdoppeln und bei drei Grad sogar fast verdreifachen. Auch Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis sieht in den Waldbränden ein Indiz für den Klimawandel: "Die Klimakrise klopft an die Tür des Planeten."
Die Schuldenkrise dominierte von 2010 bis 2018 alles, Klimaschutz wurde vernachlässigt. Es gab zwar auch in Griechenland eine Grüne Partei, sie blieb aber politisch bedeutungslos. Der seit zwei Jahren regierende konservative Premier Mitsotakis arbeitet umso engagierter an seiner grünen Agenda: Mit Geldern aus dem EU-Aufbaufonds will er ein recht ehrgeiziges Klimaprogramm umsetzen.
Gerd Höhler, Athen
Italien: "Schönes, anfälliges Land"
Der Comer See tritt nach starken Unwettern über die Ufer, in Südtirol bedroht Hochwasser mehrere Siedlungen, gleichzeitig verheeren in Süditalien Feuersbrünste ganze Landstriche. Das Gesundheitsministerium ruft Hitze-Alarm für zahlreiche Landesteile aus und fordert auf, das Haus tagsüber nicht zu verlassen und Sonnenbrillen zu tragen: Die Folgen des Klimawandels mit extremen Regenfällen und steigenden Temperaturen sind in Italien längst angekommen. Vor dem Hintergrund extremer Wetterphänomene, die hohe Kosten verursachen, will die italienische Regierung die Corona-Wiederaufbauhilfen der Europäischen Union nutzen, um Umwelt und Wirtschaft widerstandsfähiger gegen den Klimawandel zu machen.
Ein Drittel der rund 220 Milliarden Euro des EU-Fonds für Italien sollen eine "grüne Revolution" einläuten. Zur Umsetzung der ehrgeizigen Pläne schuf der parteilose Ministerpräsident Mario Draghi eigens ein Superministerium für die Umwelt-Wende. Italien müsse umgehend handeln, denn es sei "ein schönes aber anfälliges Land", hielt er dazu fest. Die Säulen, auf denen das künftig klimafreundliche Italien ruhen soll: Investitionen in Kreislauf- und Landwirtschaft, Energiewende, energetische Gebäudesanierung, Energieeffizienz, Wasser, Biodiversität und Prävention von Unwetterschäden.
Bettina Gabbe, Rom
Balkanregion: Politik schweigt sich oft aus
Zumindest bei den Medien in Südosteuropa schrillen die Alarmglocken: "Das Mittelmeer ist der Brennpunkt der Erhitzung" titelt www.index.hr: "Die Sahara kann sich auf Kroatien ausweiten." Von der „letzten Warnung an die Menschheit", spricht das Portal http://balkans.aljazeera.net im bosnischen Sarajevo: Doch fast ausschließlich sind es im Südosten Forscher, die Kurskorrekturen fordern. Die Politfürsten auf dem Balkan schweigen sich zu den schlechten Nachrichten weitgehend aus – oder beschränken sich auf kurzfristiges Krisenmanagement.
Vermehrte Hitzewellen dürften sich auf die Wasserreserven in den Küstenregionen auswirken, so der kroatische Klimatologe Kreso Pandzic. Neben erhöhtem Verbrauch könnte auch der steigende Meeresspiegel zu einer zunehmenden Versalzung von Trinkwasserquellen führen. Sollte das westarktische Eisschild kollabieren, könnten ganze Inseln und Küstenlandstriche im Meer verschwinden, warnt Kollege Ivan Guettler.
Südliche Regionen der europäischen Mittelmeeranrainer könnte zur Wüstenlandschaft mutieren, so Atmosphären-Physiker Branko Gisognono von der Universität Zagreb. Über die stark gestiegene Anzahl extremer Dürreperioden und Überflutungen berichten auch Klimatologen in Binnenländern wie Serbien oder Bosnien und Herzegowina.
Thomas Roser, Belgrad