Die Lage entspannt sich nicht wirklich in den Hochwassergebieten in Deutschland. Das Unglück zieht nur einfach weiter. Am Samstag trifft es den Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen. Dort bricht ein Damm des Flüsschens Rur, die Bergungsteams bringen in Ophoven siebenhundert Menschen in Sicherheit. Ursache nach ersten Analysen: An der Mündung der Rur in die Maas hatten die niederländischen Behörden eine Schleuse geschlossen. Der Rückstau ließ die Dämme brechen. Europa muss sich noch beweisen in diesen Tagen.
In Deutschland ist das ganze Ausmaß der Verwüstungen immer noch nicht übersehbar. Täglich kommen neue Hiobsbotschaften. Die Zahl der Opfer ist auf mindestens 150 gestiegen, allein in der Region Ahrweiler rund um das Dorf Schuld in Rheinland-Pfalz sind mehr als 98 Menschen ums Leben gekommen, mehr als 670 wurden verletzt. „Wir bitten den Raum immer noch großräumig zu umfahren“, rät die Polizei Koblenz auf Twitter.
Zuhören ist das politische Gebot der Stunde
Aber es gibt auch positive Meldungen. An der Steinbach-Talsperre in Nordrhein-Westfalen hat sich die Lage entspannt. Auch in Erftstadt, wo ein Erdrutsch in der Nacht zu Freitag eine Reihe von Häusern unter sich begraben hat, gibt es nach Erkenntnissen der Rettungskräfte keine Todesopfer zu beklagen. Am Samstag kommen Bundespräsident Frank Walter Steinmeier und Nordrhein-Westfalens Regierungschef Armin Laschet (CDU) in die Region. Zuhören ist das Gebot der Stunde für die Politik.
An der Ahr gehen die Aufräumarbeiten weiter. Noch immer werden Rettungskräfte aus anderen Teilen des Landes in die Region beordert. Am Samstag macht sich die Feuerwehr Landau mit schwerem Rettungsgerät auf den Weg. Auch anderes ist gefragt: Notstromaggregate und Wasseraufbereitung. Die Flut hat auch Stromleitungen, Gas- und Wasserversorgung mit sich gerissen. Der Aufbau der Infrastruktur könnte sich hinziehen. Allein im sich eng windenden Tal der Ahr nahe Bonn sind sieben Eisenbahnbrücken und zwanzig Kilometer Gleisezerstört. Auf das Jahrhunderthochwasser folgt eine Jahrhundertaufgabe.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte Hilfen des Bundes zu. Schon zwei Mal war der Bund nach Fluten eingesprungen. Zufälligerweise zwei Mal in einem Jahr der Bundestagswahl. 2002 hatte der Bund nach den Überschwemmungen der Elbe einen Fonds von 6,5 Milliarden Euro aufgelegt, 2013 nach dem Hochwasser wurden 8 Milliarden Euro bereitgestellt. Für Firmen erhielten 80 Prozent der Schäden erstattet. Doch gab es auch Kritik. 2017 rügte der Bundesrechnungshof die großzügige Entschädigung. Die Debatten werden folgen.
Debatte über effektiven Hochwasserschutz
An der Ahr zählt am Samstag erstmal aufräumen. Doch die Verunsicherung bleibt. Wie im Ahr-Örtchen Dernau verbringen viele die Nacht lieber auf dem Speicher. Es herrscht Angst vor neuen Fluten. Umso mehr schätzen die Menschen die Zeichen der Politik. „Es ist in dieser dramatischen Situation sehr wichtig, dass die Spitzen des Bundes und des Landes so hinter uns stehen und ihre Solidarität mit unserem Kreis ausdrücken“, sagt Jürgen Pföhler, der Landrat des Kreises Bad Neuenahr-Ahrweiler. Und so gibt es auch leise Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ihren Abschiedsbesuch in den USA trotz der Flutwelle fortsetzte. Die scheidende Regierungschefin reagierte umgehend und kündigte einen baldigen Besuch in den Hochwasserregionen an.
Deutschland baut auf. Aber vielen dämmert auch, nichts wird mehr wie es war. Beim Aufbau müssten verstärkt auch Extremwetter und ihre Folgen berücksichtigt werden, mahnen Experten. Sachsen handelt und will beim Hochwasserschutz künftig den Flüssen mehr Raum geben. „Wir brauchen einen Gleichklang zwischen technischen Maßnahmen wie Deichen oder Rückhaltebecken und solchen, mit denen Flüsse mehr Raum bekommen. Beides ist wichtig, beides setzt der Freistaat um", kündigte Umweltminister Wolfram Günther (Grüne) an.
unserem Deutschland-Korrespondenten Peter Riesbeck