Ganze Landstriche sind überflutet, Orte von der Außenwelt abgeschnitten, Häuser eingestürzt: Nach Dauerregen im Westen Deutschlands sind bereits über 60 Menschen ums Leben gekommen. Vier weitere Menschen starben im benachbarten Belgien. Siebzig Personen galten als vermisst. Polizeiangaben zufolge erschwert der Ausfall des Notrufs in etlichen Gemeinden eine Klarheit über die Lage und die Höhe der Opfer. In einzelnen Fällen wurde von Plünderungsversuchen berichtet, die Polizei ist diesbezüglich alarmiert. Im Eifel-Ort Schuld bei Adenau waren in der Nacht auf Donnerstag sechs Häuser eingestürzt. Weitere Gebäude in der Katastrophenregion seien vom Einsturz bedroht.
"So eine Katastrophe haben wir noch nicht gesehen. Es ist wirklich verheerend", sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in Mainz. In der Nacht auf Donnerstag waren in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen nach tagelangem Dauerregen Bäche zu reißenden Flüssen geworden und verwüsteten etliche Ortschaften. Stromausfälle legten die Regionen lahm, Notrufe fielen aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt sich angesichts der Katastrophe tief betroffen: "Mein Mitgefühl gilt den Angehörigen der Toten und Vermissten. Den vielen unermüdlichen Helfern und Einsatzkräften danke ich von Herzen." Weitere Überflutungen werden in den kommenden Stunden und Tagen erwartet.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) besuchte am Donnerstag Altena im Märkischen Kreis. Dort war am Mittwochnachmittag ein 46-jähriger Feuerwehrmann nach der Rettung eines Mannes aus einem überfluteten Stadtteil gestorben. Am Donnerstag war Altena noch immer von der Außenwelt abgeschnitten.
Der Unions-Kanzlerkandidat informierte sich in der Leitzentrale des Kreises beim Landrat und beim Kreisbrandmeister über die Lage, wie die Deutsche Presse-Agentur aus NRW-Regierungskreisen erfuhr. Anschließend fuhr er in die besonders von den Unwettern betroffene Stadt Hagen, um sich auch dort ein Bild an Ort und Stelle zu machen. In der westfälischen Stadt musste ein Altersheim evakuiert werden. Die Bundeswehr rettete mit Schlauchbooten Arbeiter aus einem Industriegebiet. Sie waren mehr als 18 Stunden von Wassermassen eingeschlossen. Insgesamt waren in Hagen über 600 Hilfskräfte im Einsatz inklusive 200 Bundeswehrsoldaten.
Im Kreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz seien mindestens 18 Menschen ums Leben gekommen, sagte Polizeisprecher Lars Brummer. Mehr als 30 Menschen gelten als vermisst. Mehrere Häuser und eine Brücke seien eingestürzt, zahlreiche Gebäude einsturzgefährdet. Etwa 50 Menschen hätten sich auf Dächer in Sicherheit gebracht und müssten gerettet werden. Auch die Bundeswehr helfe mit rund 500 Soldaten.Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sieht den Bund in der Pflicht: "Die Menschen im Katastrophengebiet sind in Not, die Schäden sind immens. Ich werde alles dafür tun, dass auch der Bund finanzielle Hilfe leistet." Auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat den von der Hochwasserkatastrophe betroffenen Ländern Hilfe zugesagt und den Opfern ebenfalls ihr Mitgefühl ausgesprochen. "Die EU ist bereit zu helfen." Betroffene Länder könnten den Katastrophenschutzmechanismus der EU in Anspruch nehmen.
In Nordrhein-Westfalen ist die Lage im Kreis Euskirchen besonders schlimm. Dort kamen nach Behördenangaben 15 Menschen ums Leben. Genauere Angaben zur Todesursache teilte der Kreis zunächst nicht mit. In mehreren Orten sei die Lage sehr kritisch, hieß es. Teilweise bestehe kein Zugang zu den Orten. Im Kreisgebiet sei die Kommunikation weitgehend ausgefallen.
Viele Flüsse und Bäche in der Eifel, im Bergischen Land, im Rheinland und Sauerland führten am Donnerstag weiterhin Hochwasser, sie waren am Mittwoch und in der Nacht zum Donnerstag über die Ufer getreten. Straßen wurden überschwemmt, Keller liefen voll. Tausende Feuerwehrleute waren landesweit im Einsatz.
In Köln wurden zwei Menschen tot in ihren mit Wasser vollgelaufenen Kellern entdeckt. Die Feuerwehr habe die tote Frau sowie den toten Mann am späten Mittwochabend bei Einsätzen gefunden, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Donnerstag mit. In Solingen starb ein 82 Jahre alter Mann nach einem Sturz im überfluteten Keller seines Hauses. Bei dem Sturz sei er mit dem Kopf unter Wasser geraten, sagte eine Sprecherin der Wuppertaler Polizei. Ein 77 Jahre alter Mann aus Kamen kam in dem unter Wasser stehenden Keller seines Wohnhauses ums Leben.
Feuerwehrmänner starben bei Rettungsarbeiten
In Rheinbach bei Bonn wurden am Donnerstag drei Opfer gemeldet. Ein Zusammenhang mit dem Unwetter, von dem auch Rheinbach mit überfluteten Straßen stark betroffen war, sei wahrscheinlich, erklärte die Bonner Polizei.
Damm von Talsperre droht zu brechen
Wegen der Gefahr eines Dammbruchs an der Steinbachtalsperre in Nordrhein-Westfalen werden zwei Ortsteile von Rheinbach evakuiert. Das teilte die Feuerwehr Rheinbach am Donnerstag mit. "Dies ist eine Vorsichtsmaßnahme, da nicht sicher ist, ob der Damm der Steinbachtalsperre gehalten werden kann", heißt es in der Mitteilung.
Vielerorts mussten Menschen vor den Fluten in Sicherheit gebracht werden. Es gab auch großflächige Stromausfälle. Betroffen waren vor allem das Bergische Land und die Eifel. Die Deutsche Bahn rief Reisende auf, Fahrten von und nach Nordrhein-Westfalen nach Möglichkeit zu verschieben. Durch die extremen Niederschläge seien Gleise überflutet, Betriebsanlagen seien beschädigt worden. Eine Erfassung der Unwetterschäden sei vielerorts erst mit abfließenden Wassermassen möglich.
Nach Einschätzung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ist der Höhepunkt der extremen Niederschläge in Teilen Deutschlands überschritten. Der DWD-Meteorologe Marco Manitta erwartete am Donnerstag "eine Entspannung der Wetterlage". Zwar könne es weiterhin "punktuellen Starkregen" geben, dieser sei aber nicht mehr so verbreitet wie in der vergangenen Nacht, sagte Manitta der Deutschen Presse-Agentur. Die größten Niederschlagsmengen gab es Manitta zufolge in einem breiten Streifen vom Sauerland über das Bergische Land und die Eifel, den Großraum Köln/Bonn bis zur Grenze nach Luxemburg. Spitzenreiter war Rheinbach-Todenfeld (Rhein-Sieg-Kreis in Nordrhein-Westfalen) mit 158 Millimeter Wasser im Messzeitraum 24 Stunden - wobei das meiste davon in kürzerem Zeitraum vom Himmel fiel, wie der Experte erklärte.
Krankenhäuser müssen evakuiert werden
Wegen einer Störung der Stromversorgung muss in Leverkusen ein Krankenhaus komplett evakuiert werden. Betroffen seien 468 Menschen, teilte das Klinikum Leverkusen Donnerstag früh mit. Die Maßnahme sei mit der Feuerwehr abgesprochen. Alle Operationen, Termine und Eingriffe seien abgesagt.
Bereits in der Nacht sei der Notstrom ausgefallen, einige Stationen seien ohne Licht gewesen. Auslöser des Stromausfalls war das Hochwasser des Flüsschens Dhünn. Dadurch wurde ein Kurzschluss an zwei Trafos ausgelöst, der Strom fiel aus. Es sei nicht abzusehen, wann die Stromversorgung wieder zuverlässig funktionieren werde, erklärte das Klinikum.
Nach Leverkusen wird nun auch das Krankenhaus in Eschweiler bei Aachen evakuiert. Intensivpatienten würden per Rettungshubschrauber vom Dach abgeholt und in andere Kliniken gebracht, sagte eine Sprecherin der Städteregion am Donnerstag.
Die anderen der rund 300 Patienten sollen im Laufe des Tages in umliegende Krankenhäuser verlegt werden oder seien vorzeitig nach Hause entlassen worden, sagte die Sprecherin. Im Krankenhaus sei - wie im Großteil der Innenstadt von Eschweiler - die Trinkwasser- und Stromversorgung ausgefallen. Nach Angaben der Sprecherin ist infolge des Starkregens eine Trinkwasserleitung gebrochen, die die Innenstadt versorgt. Die Bewohner wurden aufgerufen, auf unnötigen Wasserverbrauch durch Duschen oder Toilettenspülungen verzichten.
Kritik an öffentlich-rechtlicher Berichterstattung
Österreich
Zuletzt wurde speziell in Sozialen Netzwerken Kritik am Westdeutsche Rundfunk (WDR) laut:Man habe es versäumt, das Programm in der Nacht zu unterbrechen, um aktuelle Warnungen zu senden. Nun hat der WDR Lücken in der Berichterstattung über die Starkregen-Katastrophe in Nordrhein-Westfalen eingeräumt - zugleich wies der Sender aber darauf hin, dass er selbst von dem Unwetter betroffen gewesen sei. "Wir teilen die Einschätzung, dass der WDR noch umfangreicher aus Wuppertal hätte berichten müssen, allerdings war das dortige WDR-Studio selbst so stark vom Unwetter betroffen, dass es ab 3 Uhr in der Nacht nicht mehr selber senden konnte", sagte eine WDR-Sprecherin in Köln am Donnerstag auf dpa-Anfrage.