Das Dekret von Ministerpräsident Mario Draghi verbietet Kreuzfahrtschiffen ab 1. August Einfahrt zum Hafen Venedig. Was heißt das für Venedig?
ANTONIO REVEDIN: Das Verbot wird Venedig nachhaltig verändern. Das Dekret bedeutet, dass Kreuzfahrtschiffen die Zufahrt zum Hafen Venedig durch die Lagune untersagt ist. Eine Einfahrt vor dem Markusplatz und durch den Giudecca-Kanal wird nicht mehr möglich sein. Die Lagune und Venedig erhalten nachhaltigen Schutz, der über die Unesco-Vorgabe hinausgeht. Die Zukunft des Hafens Venedig ist völlig offen und es wird an anderer Stelle eine neue Hafen-Infrastruktur entstehen.
Das Verbot fordern Aktivisten seit Jahren. Es brauchte die Drohung der Unesco, Venedig auf eine schwarze Liste des gefährdeten Welterbes zu setzen, um die Maßnahme durchzusetzen?
Das Regierungsdekret wird von der weltweiten Community positiv ausgenommen werden. Es kommt jetzt zur rechten Zeit und die Beschränkungen sind weitreichend. Kreuzfahrtschiffe haben rund 220.000 Bruttoregistertonnen. Das Dekret untersagt Schiffe mit mehr als 25.000 Bruttoregistertonnen oder einer Länge über 180 Metern beziehungsweise mehr als 35 Metern Höhe. Die Unesco hatte in ihrem Report 2020 eine Begrenzung bei 45.000 Bruttoregistertonnen für möglich gehalten.
3000 Hafenarbeiter und Zulieferer betroffen
Wie reagieren die Arbeiter im Hafen, die gegen eine Schließung ebenso demonstrierten wie die „No-Grandi-Navi“-Aktivisten.
Natürlich negativ. Mit den Leuten im Hafen und bei den Zulieferern sind 3000 Beschäftigte betroffen, die ihre Arbeit verlieren. Die Regierung zahlt daher den Betroffenen über die Hafenverwaltung einen Ausgleich. Auch die Kreuzfahrtlinien werden einen Ausgleich erhalten.
Warum? Schon derzeit weichen die Schiffe nach Triest aus.
Triest kann den Ausfall von Venedig nicht auffangen. Die Kreuzfahrtlinien müssen Passagieren Storno zahlen, die wegen Venedig gebucht hatten.
Temporäre Terminals in Mareghera
Die Kreuzfahrtschiffe werden jedoch noch nicht für immer aus der Lagune verbannt. Sie sollen in Zukunft in Marghera anlegen.
Beim Industriehafen Marghera sollen temporär Terminals für Kreuzfahrtschiffe errichtet werden. Es wird ungefähr sechs Monate benötigen, um die ersten zwei Terminals zu errichten. Bis 2025 soll es dann vier Terminals geben. Realistischerweise kann daher im Frühjahr 2022 wieder das erste Kreuzfahrtschiff in Marghera von Venedig ablegen. Die Schiffe würden durch die Straße von Malamocco zwischen den Inseln Pellestrina und Lido fahren.
Ideenwettbewerb für Offshorehafen
Auch Marghera ist aber nur eine vorübergehende Lösung.
Wir haben einen Ideenwettbewerb ausgeschrieben, wo ein Offshorehafen errichtet werden könnte. Er muss auch auf Meeresumwelt, Landschaftsbild und Tourismus Rücksicht nehmen. Er ist daher vor Tourismusstränden wie dem Lido nicht denkbar. Der Wettbewerb läuft bis Jahresende. 2025 könnte man mit dem Bau beginnen.
Was bedeutet nun das Dekret wirtschaftlich für Venedig?
Natürlich bringt das Verbot der Kreuzfahrtschiffe wirtschaftlich Verlust. Luxusyachten können aber weiter den Hafen von Venedig ansteuern und das Dekret sieht auch Ausnahmen vor für große Segelkreuzer, wie der Seacloud-Klasse. Das Verbot wird auch den Tourismus in Venedig nachhaltig verändern.
Adolf Winkler