"Groß wie Tennisbälle waren sie“ erzählt Zdenka Kujová und ballt eine ihrer Hände zur Faust. Als die Mittsechzigerin merkt, dass das nicht reicht, um die Größe der Hagelkörner vom Donnerstagabend nachzustellen, legt sie noch ihre andere Hand darüber. „So groß waren sie.“
Der Hagel, das war für Kujová das Signal, dass es ernst werden würde – weit ernster als erwartet. Ja, schon in der Früh habe ihr Nachbar ihr erzählt, dass es eine Sturmwarnung geben würde. Aber Hru(s)ky, altdeutsch Birnbaum, liege ja im trockensten Teil Tschechiens, erklärt ihr Schwiegersohn.
Am Dreiländereck von Tschechien, der Slowakei und Österreichs hadert man um diese Jahreszeit eher mit der Hitze, manchmal auch mit lokalen Überschwemmungen nach Gewittern, aber ein Tornado, hier?An einen verheerenden Sturm mit hunderten Verletzten, mit Toten sogar, hätte hier nie jemand gedacht, am allerwenigsten Zdenka Kujová. Aber als der Hagel kam, packte sie noch schnell ihren Hund und rannte ins Haus, so schnell sie konnte.
Kujovás Haus liegt an der Hlavní, der Hauptstraße von Hru(s)ky, einer unauffälligen 1800-Einwohner-Ortschaft, wie es sie im mährischen Flachland genau wie im niederösterreichischen Weinviertel auf der anderen Seite der Grenze zuhauf gibt; ein Straßendorf, in dem Haus an Haus grenzt, mit Obst- und Wirtschaftgärten im Hinterhof.
Das geteilte Dorf
Am Freitag, dem Tag nach dem Sturm, wirkt das Dorf wie zersägt: Im Westen ist der Ort praktisch unversehrt – ein paar einzelne Dachziegel sind vom Hagel durchlöchert, aber das Schlimmste ist hier vorbeigezogen. „Wir hatten eine Art Glück“, sagt Andrej, der mit seiner Tochter Maria in der Scheibtruhe durch den Ort fährt – er will auf der anderen Seite des Dorfes helfen.
Das ist auch bitter nötig: Denn der Sturm, der mit rund 330 km/h eine Schneise zwischen Hru(s)ky und dem benachbarten Moravská Nová Ves gezogen hat, hat weite Teile der Orte zerstört: Rund 2000 Häuser sind insgesamt beschädigt, schätzen die tschechischen Behörden, der Schaden belaufe sich auf Hunderte Millionen Tschechischer Kronen.
Das Aufräumen mag zwar längst begonnen haben, aber noch immer schaut es entlang der Hauptstraße aus, „als ob eine Bombe eingeschlagen hätte“, sagt ein Feuerwehrmann, der gerade Trümmer von Dachziegeln in einen Container vor der Kirche schmeißt. Deren Turm ist genauso abgerissen worden wie Teile der Schulanlagen von Hru(s)ky, Dutzende Dächer sind abgedeckt, auch Kujová deutet mit hilfloser Geste auf ihr Dach, durch das man den nun wieder strahlenden Himmel sieht.
Wenn man durch Kujovás Garten geht, zerquetscht man bei jedem Schritt blutrote Kirschen unter dem Schuh. Was normalerweise ein hübsch gepflegter Obstgarten ist, liegt jetzt verwüstet da. Zerfetzte Bäume, Äste, Blattwerk, von irgendwo hat der Wind eine Plane hergetragen. „Als ich drinnen war, habe ich gehört, wie die Bäume anfangen, umzuknicken“, sagt Kujová – ein Geräusch, das sie nicht mehr vergessen wird. Und dann fingen die Dachziegel zu fliegen an: Die durchlöcherten Autoscheiben auf den Straßen von Hru(s)ky zeugen von der Gewalt solcher Geschoße.
Der Sturm der Hilfsbereitschaft
Aber immerhin: Es war relativ schnell wieder vorbei: Nach einer halben Stunde sei der Sturm wieder weitergezogen, sie sei auf die Straße gegangen und habe sofort Nachbarn getroffen, erzählt Kujová. „Die Leute haben sich umarmt und gegenseitig gefragt, ob es allen gut geht.“ Noch während des Sturms habe sie die Sirenen gehört, auch Feuerwehr, Rettung und Polizei waren schnell da.
Das sind sie noch immer: Dutzende Einsatzfahrzeuge sind im Ort, die Luft ist erfüllt vom Brummen der Notstromaggregate. Aber es kommen weit mehr als nur jene, die helfen müssen: Auch ausländische Hilfsorganisationen sind da, allein das Rote Kreuz NÖ hat 100 Helfer entsandt, Caritas-Teams gehen von Haus zu Haus und erfragen, wer was braucht – Unterkunft, Hilfe, frisches Wasser?
Am Freitag ist von Katastrophenstimmung nicht mehr viel zu spüren; auf den Dächern wird emsig gewerkt, Handwerker und Lieferanten aus ganz Tschechien, der Slowakei und auch solche mit Wiener Kennzeichen füllen die Straßen. Noch ehe der Schutt abtransportiert ist, liefern Lkw schon neue Dachziegel.
Es sind auch Familie und Freunde, die hier die Arbeit machen: Zu Zdenka Kujová sind ihre Tochter und ihr Schwiegersohn gekommen, gerade räumen sie den Garten auf.
Auch zwei Straßen weiter, in der Neubausiedlung, in der viele junge Familien zu Schaden gekommen sind, gibt sich Tomás optimistisch, der gerade seine Tochter ins Auto der Großeltern setzt, um die Hände für die Arbeit frei zu haben: „Unsere Freunde sind aus der Stadt gekommen, in ein paar Tagen ist alles wieder fit.“
Es mag eine Katastrophe gekommen sein – aber nach dem Tornado folgt in Hru(s)ky ein Sturm der Hilfsbereitschaft.
Georg Renner