Es ist der vorläufige Schlusspunkt in einem der aufsehenerregendsten Prozesse der jüngeren US-Geschichte: Im Verfahren zur Tötung des Afroamerikaners George Floyd verkündet das zuständige Gericht in der US-Stadt Minneapolis am Freitag (20.30 Uhr MESZ) das Strafmaß für den verurteilten weißen Ex-Polizisten Derek Chauvin. Die Verteidigung hat eine Bewährungsstrafe für Chauvin gefordert, die Staatsanwaltschaft dagegen 30 Jahre Haft.
Das ganze Land blickt auf die Entscheidung - Floyds Schicksal steht nach Ansicht vieler stellvertretend für systematische Diskriminierung und Brutalität gegenüber Schwarzen. Der 46-Jährige war am 25. Mai vergangenen Jahres in Minneapolis bei einem brutalen Polizeieinsatz ums Leben gekommen.
Floyds Tod löste eine Welle an Demonstrationen aus
Beamte nahmen Floyd fest, weil er eine Schachtel Zigaretten mit einem falschen 20-Dollar-Schein bezahlt haben soll. Videos von Passanten dokumentierten, wie Polizisten den unbewaffneten Mann zu Boden drückten. Chauvin presste dabei sein Knie gut neun Minuten lang auf Floyds Hals, während dieser immer wieder flehte, ihn atmen zu lassen. Floyd verlor das Bewusstsein und starb wenig später.
Die Videoclips der Szene verbreiteten sich damals rasant. Floyds Tod wühlte die USA auf, löste mitten in der Corona-Pandemie eine Welle an Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt aus, die sich zur größten Protestbewegung seit Jahrzehnten entwickelten. Der Prozess gegen Chauvin wurde live auf vielen Fernsehkanälen übertragen. Die Erwartungen an das Verfahren waren immens.
Chauvin hatte auf nicht schuldig plädiert.
Im April befanden die Geschworenen in dem Prozess Chauvin in allen Anklagepunkten für schuldig. Der gravierendste Anklagepunkt lautete Mord zweiten Grades ohne Vorsatz. Zudem wurde Chauvin auch Mord dritten Grades vorgeworfen - und Totschlag zweiten Grades. Chauvin hatte auf nicht schuldig plädiert.
Trotz des dreiteiligen Schuldspruches wird das Strafmaß für Chauvin laut Experten nach geltendem Recht im US-Staat Minnesota nur für den gravierendsten Anklagepunkt verhängt. Auf Mord zweiten Grades ohne Vorsatz stehen in Minnesota bis zu 40 Jahre Haft. Weil Chauvin nicht vorbestraft war, würde ihm den Richtlinien in dem US-Staat zufolge nicht die Höchststrafe drohen, sondern eher eine Strafe von etwa 12,5 Jahren. Richter Peter Cahill hat allerdings die besondere Schwere der Tat anerkannt: Chauvin habe als Polizeibeamter seine Machtstellung missbraucht, keine Erste Hilfe geleistet und Floyd in Anwesenheit von Kindern mit "besonderer Grausamkeit" behandelt, erklärte Cahill. Eine geringe Strafe gilt daher als unwahrscheinlich.
Weitere Ex-Polizisten angeklagt
Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Forderung nach 30 Jahren Haft mit der besonderen Schwere der Tat begründet. Chauvins Verteidiger Eric Nelson hatte dagegen angeführt, sein Mandant sei nicht vorbestraft, habe zuvor keine rechtlichen Probleme gehabt und nicht die Absicht verfolgt, Floyd zu töten. "Er glaubte, seinen Job zu machen." Nelson begründete die Forderung nach einer Bewährungsstrafe auch damit, dass Polizisten eine kürzere Lebenserwartung hätten und Chauvin im Gefängnis zum Ziel von Angriffen werden könnte. Zusätzlich solle Chauvin eine Gefängnisstrafe erhalten, die mit der Untersuchungshaft aber bereits verbüßt wäre. In den USA wird nun höchst aufmerksam beäugt, wie hoch die Strafe für den weißen Ex-Polizisten ausfällt.
Beendet ist der Fall damit nicht. Chauvin kann Berufung einlegen. Unabhängig von dem Verfahren in Minnesota ist gegen ihn außerdem vor einem Bundesgericht Anklage erhoben worden. Das US-Justizministerium teilte zur Begründung mit, dem Beschuldigten werde vorgeworfen, Floyd vorsätzlich seiner verfassungsmäßigen Rechte beraubt zu haben. Und: Neben Chauvin wurden drei weitere am Einsatz gegen Floyd beteiligte Ex-Polizisten angeklagt. Sie werden in einem Verfahren in Minneapolis ab März nächsten Jahres vor Gericht stehen. Ihnen wird Beihilfe zur Last gelegt. Auch ihnen könnten mehrjährige Haftstrafen drohen.
Floyds Schicksal kein Einzelfall
Viele Beobachter hatten den Schuldspruch gegen Chauvin im April als Meilenstein im Kampf gegen die Benachteiligung von Afroamerikanern in den USA gewertet, gar als eine Art Wendepunkt in der Geschichte, als Triumph über das, was viele als jahrzehntelange Straffreiheit der Polizei für Vergehen gegen Schwarze beklagten. Floyds verzweifelte Worte "Ich kann nicht atmen", die er in seinen letzten Minuten immer und immer wieder sagte, sind inzwischen zu einer Metapher für Rassismus und Polizeigewalt gegenüber Afroamerikanern und anderen Minderheiten in den USA geworden.
Floyd gab der Ungerechtigkeit einen Namen und ein Gesicht, doch sein Schicksal ist keineswegs ein Einzelfall. Und selbst jene, die den Schuldspruch gegen Chauvin bejubelten, räumten ein, dies sei nur ein Schritt von vielen, die folgen müssten, im Kampf gegen strukturellen Rassismus in Amerika.