Kanadas Premierminister Justin Trudeau hat sich nach dem Fund sterblicher Überreste von mehr als 200 Ureinwohner-Kindern auf einem ehemaligen Internatsgelände erschüttert gezeigt und "konkrete Schritte" zur Unterstützung der indigenen Bevölkerung angekündigt. Als Vater könne er sich nicht vorstellen, "wie es sich anfühlt, wenn mir die Kinder weggenommen werden", sagte Trudeau am Montag vor Journalisten.
Auf dem Gelände eines ehemaligen Internats für Kinder von Ureinwohnern waren die sterblichen Überreste von 215 Kindern gefunden worden. Die Überreste seien mit einem speziellem Sonargerät entdeckt worden, erklärte die indigene Gemeinschaft Tk'emlups te Secwepemc am Donnerstag. Das katholische Heim nahe der Kleinstadt Kamloops im westkanadischen British Columbia war vor über hundert Jahren eröffnet worden, um Kinder von Ureinwohnern zwangsweise in die Gesellschaft der europäischen Einwanderer zu integrieren.
"Und als Premierminister bin ich erschüttert von der beschämenden Politik, die den indigenen Gemeinschaften ihre Kinder gestohlen hat", sagte Trudeau. Er kündigte an, mit dem Kabinett über die nächsten Schritte zu beraten, die zur Unterstützung überlebender Internatsbewohner und der Ureinwohner eingeleitet werden müssten. Das Abtragen von weiteren Schulfriedhöfen in Kanada, wie es von vielen gefordert wurde, sei "ein wichtiger Schritt, um die Wahrheit zu erkunden", sagte Trudeau und sicherte den indigenen Gemeinschaften Unterstützung zu, "während wir das Ausmaß dieses Traumas aufdecken".
"Das tragische Erbe der Internate ist noch heute präsent", sagte Trudeau, der die Versöhnung mit den kanadischen Ureinwohnern bei seinem Amtsantritt 2015 zu einem Schwerpunkt seiner Politik erklärt hatte. "Es bleibt noch viel zu tun".
Landesweite Trauer
Der Fund hatte landesweit Trauer ausgelöst, am Wochenende wurden die Flaggen auf Regierungsgebäuden auf halbmast gesetzt. Vor dem Parlament in Ottawa und vor Kirchen und offiziellen Gebäuden in mehreren Städten wurden Kinderschuhe aufgereiht.
Einige der toten Kinder seien erst drei Jahre alt gewesen, sagte die Leiterin der Gemeinschaft Tk'emlups te Secwepemc, Rosanne Casimir, vergangene Woche. Der Tod der Kinder sei von der damaligen Schulleitung nie dokumentiert worden, obwohl ihr Verschwinden von Mitgliedern der Gemeinde gemeldet worden sei. Wie die Kinder ums Leben kamen, ist noch unklar. Die Gemeinde will mit Gerichtsmedizinern und Museen in der Gegend zusammenarbeiten, um die Umstände aufzuklären. Die vorläufigen Ergebnisse sollen im Juni in einem Untersuchungsbericht veröffentlicht werden.
Das ehemalige Internat, das von der katholischen Kirche im Auftrag der kanadischen Regierung betrieben wurde, war eines von 139 solcher Einrichtungen, die gegen Ende des 19. Jahrhundert in Kanada errichtet wurden. Es wurde 1890 eröffnet und hatte in den 1950er Jahren bis zu 500 Schüler. Erst 1969 wurde das Internat geschlossen.
Nach Angaben der indigenen Gemeinde beschwerte sich der Schulleiter des Heims in Kamloops im Jahr 1910 darüber, dass die Regierung nicht genug Geld zur Verfügung stelle, um "die Schüler angemessen zu ernähren".
In Kanada waren ab 1874 rund 150.000 Kinder von Indianern, Mestizen und Inuit von ihren Familien und ihrer Kultur getrennt und unter Zwang in kirchliche Heime gesteckt worden, um sie so zur Anpassung an die weiße Mehrheitsgesellschaft zu zwingen. Viele von ihnen wurden in den Heimen misshandelt oder sexuell missbraucht. Mindestens 3.200 starben, die meisten an Tuberkulose.
Viele indigene Gemeinschaften machen die Heime, die ganze Generationen geprägt haben, heute für soziale Probleme wie Alkoholismus, häusliche Gewalt und erhöhte Selbstmordraten verantwortlich. Ottawa entschuldigte sich im Jahr 2008 offiziell bei den Überlebenden der Internate. Sie seien Opfer eines "kulturellen Genozids", stellte eine Untersuchungskommission im Jahr 2015 fest.