Sie holt tief Luft.“Endlich!“, freut sie sich. Es klingt ganz nach Befreiung. Ganz so, als könnte Kyriaki Vassilakis es gar nicht erwarten, ihren Gästen wieder kulinarische Köstlichkeiten der berühmten kretischen Küche zu servieren.

„Das war gefühlt ein langer, ein dunkler Winter. Und dies, obwohl hier in Ierapetra fast immer die Sonne scheint und es auch nie richtig kalt ist. Ich bin einfach froh, dass wir wieder Gäste empfangen dürfen.“ Kyriaki Vassilakis sprüht vor Zuversicht.“Ich bin mir sicher, dass darunter auch wieder viele Touristen sind.“ Sie lächelt, als sie das sagt.

Am Samstag ist es soweit: Am 15. Mai öffnet sich Griechenland wieder vollständig für den Tourismus. Sechs Monate nach ihrer Schließung wegen der Corona-Pandemie sind schon am 3. Mai die Restaurants, Tavernen, Bars und Cafés in der beliebten Urlaubsdestination Hellas wieder geöffnet worden. Wie eben die schon 1969 eröffnete, bald in dritter Generation geführte Taverne „Megas Napoleon“ in Ierapetra.
Allerdings mit Auflagen: So muss das Personal zwei Mal pro Woche einen negativen Corona-Schnelltest vorweisen und immer eine Maske tragen. Stehende Gäste und Musik sind im Mai aber nicht erlaubt, an einem Tisch dürfen höchstens sechs Personen sitzen, zudem müssen die Stühle zwischen zwei Tischen einen Abstand von mindestens 1,80 Metern haben. Die nächtliche Ausgangssperre beginnt von diesem Freitag an erst um 0.30 Uhr. Damit ist es den Restaurants erlaubt, wieder länger aufzuhaben – allerdings nur draußen.

Kleine Orte fast ausgebucht

Kleine Ferienorte sind im Trend. Wie das malerische Myrto mit seinen schmucken, kleinen Häusern, den schönen Gassen und seinem lang gezogenen, breiten, feinsandigen Strand – 14 Kilometer westlich von Ierapetra gelegen. Die Bewohner sind noch unter sich, aber sie sind in guter Stimmung. Denn sie wissen: Das wird nicht so bleiben. Myrto, das sich seine urige Fischerdorfatmosphäre bewahrt hat, liegt bei bewussten Urlaubern genau im Trend, gerade in diesen besonders für die Reisebranche so schwierigen Corona-Zeiten. Ob Griechen oder Stammgäste aus dem Rest Europas und anderswo: In der Idylle Myrto sind für den Juli und August kaum noch Unterkünfte zu finden.
„Wir bieten unseren Gästen genau das, was sie im Urlaub wollen: Ruhe, Erholung, Kontakt mit den Bewohnern, traditionelle Lokale. So wie Griechenland mit seinem Flair vor 30, 40 Jahren noch war“, sagt Maria, eine Pensionsbesitzerin.

Touristenhochburgen zittern

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Doch in Kreta, dem bekannten Urlaubsparadies, ist das nicht überall so. In Chersonissos an der Nordküste wurde schon Mitte der 1970er-Jahre das erste große Hotel gebaut. Immer mehr Hotelburgen folgten. Hier sind die Sünden einer nicht nachhaltigen Tourismusentwicklung auf Schritt und Tritt zu sehen. Die Tourismusblase in Chersonissos platzte schon lange vor der Pandemie.

Nikos Perrakis, ein netter Mittfünfziger, hält einen Schlauch und gießt die Blumen auf dem Gelände seiner Mietwagenfirma „Zygos“. Seit 1985 ist er im Geschäft, zwei Büros hat er in Chersonissos, seine Flotte ist 80 Mietwagen stark. Nikos Perrakis sieht auch für diesen Sommer schwarz, pechschwarz.“Gerade habe ich eine Stornierung erhalten. Vier Personen, alles Belgier, ein Auto, für 14 Tage. Wissen Sie, was sie mir gesagt haben? Sie sagten mir, sie hätten ihre Reise gecancelt, weil Griechenland wegen der hohen Coronazahlen ein Risikogebiet sei.“ Nur wenn Griechenland wieder „grün“ in Sachen Corona-Zahlen werde, würden sie sich überlegen, ob sie später noch kommen.

So denken offenbar viele potenzielle Griechenlandurlauber. Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner liegt in Griechenland aktuell bei 168,2 – Tendenz seit dem 6. Mai wieder stark steigend. Perrakis, der Autovermieter, ist sicher: „Den Mai und Juni können wir getrost vergessen. Sehen wir mal, was ab Anfang Juli läuft, um die Saison irgendwie noch zu retten. Ein zweites schlechtes Jahr können wir nicht aushalten“, stöhnt er und dreht das Wasser ab. Die Blumen sind gegossen.

Zweite verlorene Saison wäre der Ruin

„Eines ist klar: Noch eine verlorene Reisesaison in diesem Jahr würde uns das Genick brechen. Das würde uns in den Ruin treiben“, pflichtet ihm auch der Präsident des griechischen Hotelverbandes (POX), Grigoris Tasios, bei. Tasios weiß, wovon er redet. Ob Kreta, die Kykladen, Kos, Korfu, Rhodos oder der Peloponnes: Griechenland hat 2020 touristisch ein katastrophales Jahr erlebt. Einer Studie der Athener Notenbank (TTE) zufolge seien die Direkterlöse im griechischen Tourismus 2020 um knapp 77 Prozent auf 4,31 Milliarden Euro eingebrochen. Die Zahl der nach Griechenland einreisenden Urlauber ging im Gesamtjahr 2020 um gut 78 Prozent auf 7,406 Millionen Urlauber zurück. Kein Land in Europa ist dabei so abhängig vom Tourismus wie Griechenland.

Die griechische Regierung unter Premier Kyriakos Mitsotakis hofft darauf, dass im laufenden Jahr wieder 15 Millionen Urlauber aus dem Ausland nach Hellas reisen werden. Ob dieses Ziel aber tatsächlich erreicht werden kann, ist fraglich. Denn für die Einreise ist weiter ein negativer Labortest vorzulegen, der nicht älter als 72 Stunden sein darf, oder man muss vollständig gegen Corona geimpft sein. Premier Mitsotakis war einer der Ersten, der einen einheitlichen EU-Impfpass forderte. Immerhin besteht für die meisten Herkunftsländer keine Quarantänepflicht in Griechenland mehr.