Frau Herzog, wie sehr tragen wir Europäer Mitschuld daran, dass der Regenwald aus der Ferne ausgebeutet wird?
OLIVIA HERZOG: Unser neuer WWF-Report zeigt, dass die Europäische Union 16 Prozent der globalen Regenwaldzerstörung verantwortet und damit hinter China (24 Prozent) der zweitgrößte Regenwaldzerstörer ist. Der internationale Handel mit Agrar-Rohstoffen befeuert diese Umweltzerstörung und damit sowohl die Biodiversitätskrise als auch die Klimakrise massiv. Die Ausdehnung und Erschließung der landwirtschaftlichen Flächen in tropischen Regionen ist nach wie vor die größte Bedrohung für Wälder und andere natürliche Ökosysteme, was dazu führt, dass jährlich rund 5 Millionen Hektar Wald in Agrarland umgewandelt werden (Durchschnitt der Jahr 2005 bis 2017, Anmerkung). Geplante Ausweitungen der Fleischexporte durch Abkommen wie Mercosur würden also sowohl die Klimakrise als auch die Naturzerstörung weiter befeuern.
Wie schätzt der WWF die politische und wirtschaftlich-praktische Bedeutung des EU-Mercorsur-Abkommens (siehe Faktenbox) ein?
EU-Mercosur wurde im vergangenen Jahrhundert geplant. Es bräuchte ein zeitgemäßes Abkommen, das Klima, Natur und insbesondere den Regenwald schützt, und zwar vertraglich fixiert, kontrollierbar und sanktionierbar. Die Umweltschutzorganisation WWF Österreich fordert politische Entscheidungsträger daher auf, das umstrittene EU-Mercosur-Abkommen in der jetzigen Form nicht zu ratifizieren.
Was sollte sich also ändern?
Der Fokus sollte vielmehr auf ein starkes Lieferkettengesetz gelegt werden, das sicherstellt, dass keine Entwaldung auf unseren Tellern landet. Die EU muss in Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass artenreiche Naturräume geschützt und Menschenrechte eingehalten werden. Importierte Agrarrohstoffe müssen hohen Umweltstandards entsprechen. Auch die Unternehmen müssen dafür Verantwortung tragen und ihre Produktionszyklen transparent machen.
Wie kann der Konsument überhaupt entgegenwirken? Produkte ohne Palmöl bzw. Sojakomponenten sind sehr schwierig zu finden...
Es gibt Alternativen, die Konsumenten in ihren alltäglichen Kaufentscheidungen bevorzugen können, aber die Politik ist gefordert, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Produkte, die für große Naturzerstörung verantwortlich sind, dürfen erst gar nicht in den Regalen landen. Grundsätzlich lautet die Devise beim Kauf von Lebensmitteln: weniger und dafür besseres Fleisch. Fleisch, dass unter höheren Bedingungen produziert wird, trägt keine Entwaldung in sich! Palmöl befindet sich oft in verarbeiteten Produkten – besser selbst kochen und auf die Verwendung von lokalen Ölen (z.B. Sonnenblumen- oder Rapsöl) achten!
Wie kann ein "Lieferkettengesetz" ausschauen - wer könnte das anstoßen bzw. umsetzen? Wäre das nur auf EU-Ebene oder notfalls auch in Österreich machbar? Und: Wären dann die Supermarktregale nicht plötzlich ziemlich leer?
Wir brauchen dringend entwaldungsfreie Lieferketten! Dafür braucht es in erste Linie Transparenz, die gesetzlich geschaffen werden muss. Produkte, die auf dem europäischen Markt landen, dürfen in Zukunft nicht mehr auf Kosten der Natur und der Menschenrechte produziert werden. Genau dafür muss sich jetzt auch die österreichische Bundesregierung in Brüssel einsetzen.
Wie kann sich die heimische Politik einsetzen?
Es braucht verbindliche Anforderungen an die Sorgfaltspflicht für Unternehmen und den Finanzsektor, für Rückverfolgbarkeit von Rohstoffen und Praktiken entlang der Lieferkette – das muss möglichst alle Produkte umfassen und auch Sub-Lieferanten betreffen. Klare Definitionen sowie objektive und wissenschaftliche Kriterien müssen angewandt und neben Wäldern auch andere wertvolle Ökosysteme, wie Savannen und Grasländer, bedacht werden. Österreichs Bundesregierung muss sich auf nationaler Ebene für eine starke Umsetzung einschließlich wirksamer Sanktionen einsetzen.
Wie groß ist die Macht der großen Lebensmittelkonzerne auf politischer Ebene?
Lebensmittelkonzerne tragen eine große Verantwortung. Sie agieren oft international, tragen in hohem Maße zur Ressourcennutzung bei und beeinflussen durch ihr Angebot das Konsumverhalten der Menschen. Darüber hinaus sind sie Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor. Ihr politischer Einfluss darf deshalb nicht unterschätzt werden. Besonders dann, wenn nur wenige Konzerne einen Markt dominieren und es keine strengen gesetzlichen Rahmenbedingungen gibt, kann die Qualität leiden - und dann werden auch natürliche Ressourcen ausgebeutet.
Hatte die nun seit einem guten Jahr anhaltende Corona-Krise irgendeinen nennbaren, positiven Effekt auf das Kaufverhalten der Konsumenten?
Für viele Menschen sind im letzten Jahr Bedeutung und Herkunft der eigenen Ernährung und der Herkunft ihrer Nahrungsmittel verstärkt in den Fokus gerückt. Besonders am Beginn der Pandemie gab es eine deutlich erhöhte Nachfrage nach regionalen und ökologischer produzierten Lebensmitteln. Es wäre natürlich wünschenswert, wenn sich dieser Trend langfristig fortsetzt.