Als die Braut kommt, branden Freudenrufe und Applaus auf. Ihr weißes Kleid ist goldfarben abgesetzt, ein Schleier bedeckt den Kopf. Darunter verbirgt sich das Gesicht einer 13-Jährigen, das kann auch der rote Lippenstift nicht vertuschen. Ihr Ehemann ist 35 Jahre älter und war bereits vier Mal verheiratet. Die Neue soll sich künftig um seine drei Kinder kümmern, die nur wenig jünger sind als die neue "Mutter".
625 US-Dollar (520 Euro) soll der 48-Jährige den Eltern für ihre Tochter bezahlt haben. Bilder und Videos der Hochzeitsfeier im Süden der Philippinen sorgten im vergangenen Oktober weltweit für Aufsehen. Ein lokaler Fernsehbericht über das Paar löste auch in dem Inselstaat teilweise wütende Reaktionen aus. Etwa: Kinderehen seien "eine der ekelhaftesten Traditionen", die aber vor allem im Süden des Landes noch äußerst lebendig sei. "Armes Kind. Nicht ihre eigene Entscheidung. Verkauft von ihren Eltern unter dem Vorwand der "Kultur"", kommentierte ein anderer Zuschauer.
Noch kein Zeitplan
Aber es gibt Hoffnung: Junge Mädchen zu verheiraten könnte auf den Philippinen bald illegal werden. Im November hat der Senat einem Gesetzesentwurf mit dem Namen "Girls Not Brides Act" zugestimmt, der Ehen vor dem 18. Lebensjahr verbietet. Jedem, der eine Kinderehe organisiert, drohen dann eine Freiheitsstrafe, eine Geldstrafe und der Verlust des Sorgerechts.
Zudem würden alle bisher geschlossenen Kinderehen ungültig gemacht und Aufklärungsprogramme zu dem Brauch und dessen Folgen für die Mädchen gestartet. Damit der Vorstoß Gesetz wird, müssten aber sowohl das Repräsentantenhaus als auch Präsident Rodrigo Duterte zustimmen. Ein Datum für die Entscheidung gibt es noch nicht.
"Es ist herzzerreißend, weil diese Mädchen ihrer Zukunft beraubt werden und der Möglichkeit, ihr Leben selbst zu gestalten", sagt Senatorin Risa Hontiveros, die den Entwurf mitverfasst hat. Besonders wütend mache die Tatsache, dass viele Eltern immer noch finanzielle Vorteile aus ihren Kindern ziehen würden - unter dem Vorwand, dass dies der einzige Weg aus der Armut sei.
Die Hilfsorganisation Oxfam schätzt, dass auf den Philippinen, die seit mehr als 70 Jahren unabhängig sind, bisher mehr als 720.000 Kinderehen geschlossen wurden. Damit liege die Inselgruppe weltweit auf Platz zwölf. Dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) zufolge muss eines von sechs Mädchen auf den Philippinen vor dem 18. Lebensjahr eine Ehe eingehen, vielen droht anschließend körperliche Gewalt.
Oxfam International hat unter anderem den Fall von Tanumbay dokumentiert, die nach eigenen Angaben zehn Jahre alt war, als sie gezwungen wurde, einen 20 Jahr älteren Mann zu heiraten. "Ich wollte nicht heiraten, aber ich hatte keine Wahl", sagte sie der Organisation. "Es war der letzte Wunsch meines Vaters, bevor er starb." Zur Schule konnte sie nicht gehen, weil die Eltern kein Geld hatten. Heute ist Tanumbay 24, sie hat fünf Kinder und ist im gleichen Kreislauf der Armut gefangen.
Besonders häufig gibt es Kinderehen in der südlichen Region Mindanao, wo viele Muslime leben, die mehr als eine Ehefrau haben dürfen. Generell wird die Tradition meistens da angewandt, wo Armut, bewaffnete Konflikte oder humanitäre Krisen um sich greifen. Aber die Tradition ist auch in Friedenszeiten vielerorts tief verwurzelt.
"Obwohl wir die Gesetzgebung auf den Philippinen weiterentwickelt haben, reicht dies immer noch nicht aus, um gesellschaftliche Überzeugungen abzubauen", sagt Senatorin Hontiveros. "Es besteht immer noch die Gefahr, dass die Praxis weitergeht." Wichtig sei deshalb auch, die sozialen Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern abzubauen und die Rechte von Mädchen und Frauen zu fördern. Der Wandel werde nicht über Nacht kommen, glaubt sie.
Ein Hindernis für den Wandel ist derzeit auch die Corona-Krise. Hilfsorganisationen befürchten, dass im Zuge der Pandemie die Zahl der Kinderehen generell noch zunehmen könnte. Save the Children etwa schätzte zuletzt, dass wegen der negativen wirtschaftlichen Auswirkungen des Virus bis 2025 zusätzliche 2,5 Millionen Mädchen verheiratet werden könnten - speziell in Südasien. Mädchen seien bei Krisen der öffentlichen Gesundheit besonders betroffen, heißt es auch vom Kinderhilfswerk UNICEF. Das habe man schon bei Ebola gesehen.
In Indien berichtet die Kinderhilfsorganisation Childline, dass sie 2020 allein von April bis Dezember landesweit 20.000 Kinderehen gestoppt habe - so viele wie früher in einem ganzen Jahr. Wegen der Corona-Einschränkungen seien die Hochzeiten für Familien günstiger gewesen, sagt Sudhir Tupe von der Organisation Lokkalyan Charitable Trust, die sich ebenfalls gegen Kinderehen einsetzt.
Während normalerweise bei indischen Hochzeiten mehrere hundert Gäste üblich seien, hätten nun maximal 20 kommen können. Das sei gerade bei Tagelöhnern und anderen armen Familien ins Gewicht gefallen. Viele Menschen hätten wegen der Pandemie ihre Arbeit verloren.
Tupe erzählt, ihn hätten in jüngster Zeit viele Schülerinnen verzweifelt um Hilfe gebeten. Ihre Schulen seien wegen Corona geschlossen und ihre Familien wollten sie nun verheiraten - auch damit sie nicht zu Hause herumsäßen. Seine Mitarbeiter versuchten dann die Eltern zu überzeugen, dass Kinderehen illegal und schlecht für die Kinder seien. Manchmal klappe das, aber zuweilen müssten Kinder zeitweise von ihren Familien weggebracht werden.
Häufig erfahre der Lokkalyan Charitable Trust nur wenige Stunden vorher von einer geplanten Hochzeitszeremonie. Dann müssten die Kollegen meist mit Polizeischutz bei dem Fest anrücken - so wütend reagierten die Familien und ihre Gäste. Für die kleinen Bräute ist es hingegen die Rettung in letzter Minute.