Auf Internet-Videos ist zu sehen, wie Hunderte Studenten durch Straßen ziehen und den Rücktritt von Melih Bulu fordern. Erdogan hatte am Samstag per Dekret Bulu zum Rektor gemacht. Es ist das erste Mal seit 1980, dass der Rektor nicht von der Universität selbst bestimmt wurde.
"Wir wollen keinen staatlich eingesetzten Rektor" und "Er wird gehen, wir bleiben!", riefen die Demonstranten. Der Lehrkörper verabschiedete eine Erklärung, in der die Berufung von Bulu als Verletzung der Wissenschaftsfreiheit und Verstoß gegen die demokratischen Werte der Universität verurteilt werden. Der 50-jährige Melih Bulu war am Freitag von Erdogan als Leiter der Bogazici-Universität, zu Deutsch Bosporus-Universität, in Istanbul eingesetzt wurde.
An den Protesten beteiligten sich insgesamt rund tausend Menschen. Zwei Demonstranten seien von der Polizei am Rande der Proteste in Gewahrsam genommen worden, berichtete eine Unterstützergruppe über den Kurznachrichtendienst Twitter. In früheren Jahren wurden die türkischen Hochschulrektoren intern gewählt, aber nach dem Putsch-Versuch von 2016 hatte sich Erdogan den Zugriff auf die Hochschulen gesichert.
Bulu gehörte bisher nicht zum Personal der Bogazici-Universität. Er hatte 2015 versucht, mithilfe von Erdogans Regierungspartei AKP ein Parlamentsmandat zu erringen. An der Bogazici-Universität, an der die Veranstaltungen auf Englisch abgehalten werden, hat sich über die Jahre eine starke linksgerichtete Studentengemeinde versammelt.
Im Jahr 2018 wurden mehrere Studenten festgenommen, weil sie an einer Demonstration gegen eine türkische Militär-Offensive in Syrien teilgenommen hatten. Erdogan beschimpfte sie als "Verräter" und "Terroristen".
Die Bogazici-Universität blickt auf eine lange Vergangenheit zurück. Sie wurde 1863 unter dem Namen Robert College als erste amerikanische Universität außerhalb der USA gegründet. 1971 wurde sie nach dem Bosporus-Fluss umbenannt, an dem sie im europäischen Teil Istanbuls liegt.