Bis alle Stimmen ausgezählt sind, wird es noch dauern, aber die Wahl Bidens scheint inzwischen sehr sicher. Was bedeutet das für die Wirtschaft der USA?
Walter Koren: Obwohl es große Unterschiede gibt zwischen den Plänen von Trump und Biden wird die Wirtschaft nach Corona unter Volldampf weiterlaufen. Da wird es keine großen Einschnitte geben. Im Moment ist alles etwas gedämpft durch Covid. Zusammen mit den vielen Antirassismus-Demonstrationen hatten wir zuletzt praktisch einen doppelten Lockdown. Die Wahl-Nachwehen werden noch für ziemliche Unsicherheit sorgen. Aber die Wirtschaft hat in den meisten Bereichen schon wieder Tritt gefasst und Joe Biden wird sie nicht bremsen.
Auch nicht durch Steuern?
Er hat eine Steuerreform angekündigt vor allem zugunsten mittlerer und kleinerer Einkommen. Damit wird er die Kaufkraft stärken. Ich habe überhaupt keine Sorge, dass es der Wirtschaft unter Biden schlechter gehen wird. Es wird einen besseren Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem für alle geben. Das ist wichtig, denn durch Covid ist die soziale Schere noch weiter als vorher auseinandergegangen.
Ist von ihm eine moderatere Handelspolitik zu erwarten?
Im Kern wird er an der Politik der Re-Industriealisierung, dem Schutz der eigenen Industrie, nichts ändern. Es war ja nicht alles falsch, was Trump gemacht hat, wenn man es vor allem unter dem Aspekt der Wirtschaft sieht. Vieles haben die Demokraten übrigens mitbeschlossen. Rund zwei Drittel der Amerikaner haben von Trumps Steuersenkungen profitiert. Die USA hatten die längste Hochkonjunkturphase nach dem Zweiten Weltkrieg. „America first“ wird bleiben, der Ton wird nur viel charmanter werden und es wird natürlich auch niemand mehr so nennen.
Joe Biden hat die Rückkehr zum Pariser Klimaabkommen angekündigt. Ist das ein Widerspruch dazu?
Nein. Biden setzt sehr auf neue Arbeitsplätze. Es wird einen Green Deal geben, der sehr viele Jobs etwa in den Bereichen erneuerbare Energien oder moderner Infrastruktur schaffen soll. Ähnlich wie in Europa.
Das angespannte Verhältnis USA-China, dürfte sich das bessern?
Biden wird positive Signale senden, vielleicht auch die Taktik ändern, indem er den ein oder anderen Strafzoll zurücknimmt. Aber grundsätzlich ist das ein Wettkampf auf höchster Ebene und der wird noch zehn Jahre anhalten. Da geht es weniger um Zölle, sondern vor allem um Technologie. Der Wettkampf wird hinter den Kulissen in aller Härte ausgefochten. Den über Jahrzehnte praktisch ungeschützten Technologieabfluss nach China zu stoppen, ist auf vielen Seiten ein großes Anliegen in den USA.
Europa spielt eine Nebenrolle?
Die EU muss als starke Einheit auftreten. Besonders, wo sie das auch kann, etwa in der Handelspolitik. Gut wäre ein enger Schulterschluss für technologische Zusammenarbeit, Forschung. Sonst wird es für die Europäer schwierig, mitzuhalten.
Claudia Haase