Nach dem mutmaßlich islamistisch motivierten Messerangriff mit drei Toten in Nizza hat die Polizei einen weiteren Verdächtigen in Gewahrsam genommen. Der 47-Jährige werde verdächtigt, am Tag vor der Tat mit dem mutmaßlichen Täter in Kontakt gestanden zu haben, hieß es am Freitag aus französischen Justizkreisen. Zuvor hatte die Tageszeitung "Nice-Matin" von der Festnahme berichtet.
Bei dem Angriff am Donnerstagmorgen in der Basilika Notre-Damewurden zunächst ein Mann und eine Frau brutal getötet; eine verletzte Frau konnte zunächst in eine Bar flüchten, erlag dort aber ihren Verletzungen.
Täter
Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich nach Angaben der Ermittler um einen 21-jährigen Tunesier namens Brahim Aouissaoui. Er war erst vor kurzem aus Italien nach Frankreich eingereist. Laut Nizzas Bürgermeister Christian Estrosi rief der Angreifer mehrfach "Allahu Akbar" (Gott ist groß), bevor ihn die Polizei mit Schüssen verletzte und festnahm. In Frankreich ermittelt die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft in dem Fall.
Minister befürchtet weitere Vorfälle
Einen Tag nach der Enthauptung einer Frau und der Tötung zweier weiterer Menschen in einer Kirche in Nizza fürchtet Frankreichs Regierung weitere Anschläge dieser Art. Frankreich befinde sich in einem "Krieg gegen die islamistische Ideologie", sagte Innenminister Gerald Darmanin am Freitag dem Radiosender RTL. Deshalb werde es weitere Vorfälle wie "diese schrecklichen Angriffe" geben.
Frankreich warnt seine Bürger weltweit
Nach dem mutmaßlich islamistischen Anschlag in Nizza mit drei Toten hat Frankreich seine Bürger weltweit vor Anschlägen gewarnt: "Die Bedrohung ist überall", sagte Außenminister Jean-Yves Le Drian am Freitag nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts unter Leitung von Präsident Emmanuel Macron. Dem Anschlag vorausgegangen waren massive Drohungen und Proteste gegen Frankreich in muslimischen Ländern.
"Der Schritt vom virtuellen Hass zur echten Gewalt ist klein", sagte Le Drian. Paris habe die diplomatischen Vertretungen im Ausland angewiesen, die Sicherheitsvorkehrungen zu verstärken. Erst am Donnerstag hatte es der frühere malaysische Regierungschef Mahathir Mohamad als legitim bezeichnet, "Millionen von Franzosen zu töten". Er begründete dies mit französischen "Massakern" der Kolonialzeit. Auf Druck der französischen Regierung löschte Twitter die Kurzbotschaften Mohamads.
Im Inland will Frankreich insbesondere Schulen und Kirchen besser schützen, wie Verteidigungsministerin Florence Parly nach der Krisensitzung sagte. Dafür werden nach Angaben des Innenministeriums 3.500 Reservepolizisten mobilisiert. Allein 120 zusätzliche Polizisten sollen in Nizza patrouillieren. Präsident Macron hatte zuvor bereits angekündigt, dass die Anti-Terror-Einheit der Armee von 3.000 auf 7.000 Kräfte aufgestockt wird. In ganz Frankreich gilt seit dem Messerangriff am Donnerstag in Nizza die höchste Terrorwarnstufe.
Frankreichs oberster Anti-Terror-Ermittler Francois Ricard erklärte, der mutmaßliche Täter vom Donnerstag, ein 1999 geborener Tunesier, sei am 20. September auf der italienischen Insel Lampedusa nach Europa gelangt. Nach italienischen Agenturberichten ging er mit anderen Bootsmigranten an Land und wurde im Oktober ins süditalienische Bari, die Hauptstadt Apuliens, gebracht. Dort soll er abgetaucht sein.
Ricard teilte weiter mit, der mutmaßliche Täter sei am Donnerstagmorgen mit dem Zug in Nizza angekommen und habe sich dann zu der Kirche begeben. Dort habe er eine 60-jährige Frau enthauptet und den 55-jährigen Mesner erstochen. Er habe auch auf eine 44-jährige Frau eingestochen, die zunächst noch in ein nahe gelegenes Café flüchten und Alarm schlagen konnte, bevor sie starb. Als die Polizei am Tatort eintraf, habe der Angreifer noch immer "Allahu Akbar" gerufen. Der Mann war von der Polizei angeschossen und ins Krankenhaus eingeliefert worden. Er befinde sich in einem kritischen Zustand.
Ermittlungen in Tunesien
Tunesien erklärte, der Mann sei dort nicht als mutmaßlicher Extremist bekannt gewesen. Auch die tunesischen Behörden ermitteln gegen den Tatverdächtigen. Gemäß dem Recht des Landes werde jeder Tunesier strafrechtlich verfolgt, der in Terrorakte verstrickt sei, egal ob im Inland oder Ausland, sagte ein tunesischer Justizsprecher am Donnerstagabend. So solle ermittelt werden, ob der Täter in Tunesien möglicherweise Komplizen hatte.
Der Tatverdächtige kommt dem arabischen Nachrichtensender Al-Arabiya zufolge aus einem Ort nahe der tunesischen Küstenstadt Sfax. Die Mutter sagte dem Sender, ihr Sohn habe sie in dieser Woche angerufen und erzählt, dass er nach Frankreich gereist sei. Von seinen Plänen habe sie nichts gewusst. Der Bruder des mutmaßlichen Angreifers erklärte dem Sender, dieser habe gesagt, er wolle vor der Kirche die Nacht verbringen. Er habe ihm von dort auch ein Foto geschickt.
Der Angriff in Nizza ereignete sich am Geburtstag des Propheten Mohammed und knapp zwei Wochen nach der Enthauptung eines Lehrers. Der 47-jährige Samuel Paty war in einem Pariser Vorort von einem mutmaßlichen Islamisten tschetschenischer Herkunft auf offener Straße getötet worden. Im Unterricht zum Thema Meinungsfreiheit hatte der Lehrer umstrittene Mohammed-Karikaturen gezeigt. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire sagte dazu am Freitag dem Radiosender France Inter: "Ich mag diese Cartoons nicht." Er verteidige aber das Recht, sie zu veröffentlichen.
Schon nach der Enthauptung des Lehrers hatte Präsident Emmanuel Macron angekündigt, den "islamistischen Separatismus" bekämpfen zu wollen, der die Kontrolle in einigen muslimischen Gemeinden in Frankreich zu übernehmen drohe. Am Donnerstag sagte er in Nizza, Frankreich sei für seine Werte und seine Freiheitsliebe angegriffen worden. Er werde seine Position verteidigen und nicht nachgeben, betonte der Präsident.
Zehntausende protestierten in Bangladesh gegen Macron
In mehreren überwiegend muslimischen Ländern kam es zuletzt zu Demonstrationen gegen Macron. In Bangladesch gingen am Freitag Zehntausende auf die Straße. Sie forderten einen Boykott französischer Produkte und trugen Banner, auf denen Macron als "der größte Terrorist der Welt" bezeichnet wurde. In Europa ist Frankreich das Land mit der größten muslimischen Gemeinde.
"Wir befinden uns in einem Krieg gegen einen Feind, der sowohl innen als auch außen ist", sagte Innenminister Darmanin. Im Zusammenhang mit der Tat in Nizza wurde Justizkreisen zufolge am Donnerstagabend ein 47-jähriger Mann festgenommen. Er werde verdächtigt, Kontakt zum mutmaßlichen Täter gehabt zu haben. Frankreich hat die höchste Sicherheitsstufe ausgerufen und Macron Tausende Soldaten zum Schutz von Kirchen, anderen Glaubenshäusern und Schulen abkommandiert.
Vor der Kirche in Nizza versammelten sich mehrere Menschen, legten Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Der 50-jährige Frederic Lefevre beklagte, dass es erneut in seiner Heimatstadt zu einer Tragödie gekommen sei. In Nizza hatte vor vier Jahren ein Extremist am französischen Nationalfeiertag, dem 14. Juli, einen Lastwagen in eine Menschenmenge gesteuert. Es gab 86 Tote.
In Österreich forderte indes FPÖ-Bundesparteiobmann Norbert Hofer ein Umdenken auf europäischer und nationaler Ebene: "Ein Europa ohne Grenzen war eine Illusion, weil die EU beim Schutz ihrer Außengrenzen grandios gescheitert ist. Daher müssen nun die Mitgliedsländer ihre Grenzen rigoros kontrollieren, um Halsabschneidern das Handwerk zu legen und Asylmissbrauch zu verhindern."
Italiens Justiz ermittelt wegen Terrorismus
Die Staatsanwaltschaft der süditalienischen Stadt Bari hat nach eigenen Angaben vom Freitag ebenfalls Ermittlungen gegen den mutmaßlichen Attentäter von Nizza eingeleitet. Der Verdacht gegen den 21-jährigen Tunesier laute auf Terrorismus.
Der Attentäter, der am 20. September mit anderen Bootsmigranten auf Lampedusa eingetroffen war, hatte eine zweiwöchige Quarantäne an Bord eines Schiffes verbracht und war dann in einer Flüchtlingseinrichtung in Bari untergebracht worden. Danach tauchte er unter.
Die Justizbehörden in Bari ermitteln auch wegen des Abschiebungsbescheids, der dem Tunesier geschickt wurde, wie italienische Medien unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft am Freitag berichteten. Demnach wurde er zur Ausreise aus Italien binnen sieben Tagen aufgefordert. Die tunesischen Behörden hätten Italien nicht vor ihm gewarnt, hieß es weiter.
Italienische Innenministerin unter Beschuss
Nach der brutalen Messerattacke in der südfranzösischen Metropole Nizza gerät die italienische Regierung unter Druck. Weil der mutmaßliche Täter ein im September auf der italienischen Insel Lampedusa eingetroffener Tunesier sein soll, kritisieren Rechtsparteien die Einwanderungspolitik der Regierung von Premier Giuseppe Conte und verlangen Erklärungen von Innenministerin Luciana Lamorgese.
Italien sei zur "Terror-Route" geworden, kritisierte die Rechtspartei "Fratelli d Italia" (FdI - Brüder Italiens). "Die Regierung Conte muss erklären, wie es möglich ist, dass ein Fundamentalist ungestört auf Lampedusa eintrifft und nach Frankreich reist", so FdI-Chefin Giorgia Meloni, die seit jeher den Einwanderungskurs der Regierung von Sozialdemokraten und Fünf Sterne-Bewegung kritisiert. Die italienische Regierung müsse sich bei Frankreich entschuldigen, weil sie den tunesischen Angreifer nicht gestoppt habe, forderte Meloni und verlangte, dass die Innenministerin vor dem Parlament über den Fall berichten solle.
Lega-Chef Matteo Salvini forderte den Rücktritt der Innenministerin. Er kritisierte, dass die Regierung Conte die strengen Einwanderungsgesetze aufgehoben habe, die seine Partei in ihrer Regierungszeit 2018 und 2019 im Parlament durchgesetzt hatte. Die Einwanderungsgesetze seien ein Schutz gegen die "freie Einreise" illegaler Migranten nach Italien gewesen. Auch die Lega forderte Premier Conte auf, Frankreich wegen der Messer-Attacke eine Entschuldigung zukommen zu lassen.
"Wie ist es möglich, dass ein während der Pandemie in Italien eingetroffener Migrant ungestört Frankreich erreichen konnte, wo er sich für ein Blutbad verantwortlich gemacht hat? Die italienische Regierung hat hier eine klare politische Verantwortung, die man nicht verschweigen darf", protestierte Anna Maria Bernini, Senatorin der rechtskonservativen Forza Italia von Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi.
Die Rechtsparteien fordern einmal mehr einen Kurswechsel in der Migrationspolitik. Trotz Pandemie sind in diesem Jahr 27.190 Migranten nach Seefahrten über das Mittelmeer in Italien eingetroffen. Im Vergleichszeitraum 2019 waren es 9.533 gewesen. In diesem Jahr stiegen vor allem die Ankünfte von Tunesiern, die kaum Chancen auf Asyl in Italien haben.
Aus dem Innenministerium in Rom verlautete am Donnerstagabend, dass der 21-jährige tunesische Angreifer am 20. September illegal auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa angekommen sei. Nach einer zweiwöchigen Quarantäne an Bord eines Schiffes vor Lampedusa sei er im Oktober in die süditalienische Stadt Bari gebracht worden. Dort soll er untergetaucht sein.