Kokain spielt beim Drogenkonsum in Europa eine zunehmende Rolle. Im Vorjahr haben geschätzt 4,3 Millionen EU-Bürger Kokain eingenommen, das sind 1,3 Prozent der 15- bis 64-Jährigen und rund 400.000 Personen mehr als im Jahr 2018. Laut dem am Dienstag in Lissabon veröffentlichten Europäischen Drogenbericht 2020 nahmen zudem mehr Betroffene eine Therapie auf. Der Bericht ortet auch das Potenzial für vermehrten Heroinkonsum und eine generell gestiegene Drogen-Verfügbarkeit.
Mit Abstand am häufigsten wurde laut den Schätzungen der EU-Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA im Jahr 2019 in der Europäischen Union erneut Cannabis konsumiert. 25,2 Millionen EU-Bürger im Alter von 15 bis 64 Jahren griffen zu Marihuana oder Haschisch (2018: 24,7). Das sind 7,6 Prozent der 15- bis 64-Jährigen, bei den Unter-35-Jährigen sogar 15 Prozent. Die Werte für Österreich in dem Bericht lagen leicht darunter, stammten jedoch aus dem Jahr 2015.
Nach den 4,3 Millionen Kokain-Konsumenten folgt Ecstasy (MDMA/Methylen-Dioxy-Methyl-Amphetamin) mit rund 2,7 Millionen Betroffenen in der EU im Vorjahr. Hier gab es einen Anstieg um rund 100.000 Personen. Der Amphetamin-Konsum stieg um rund 300.000 auf geschätzt zwei Millionen Abnehmer. Bei beiden Drogenarten lagen die Daten für Österreich aus dem Jahr 2015 leicht unter dem geschätzten EU-Schnitt für das Vorjahr.
Opiode
Die Zahl der Hochrisiko-Opioid-Konsumierenden in der EU blieb mit 1,3 Millionen konstant (Daten von 2018). Opioide wurden bei 82 Prozent aller tödlichen Überdosierungen nachgewiesen. Das Potenzial für einen vermehrten Heroinkonsum und die bereits bestehenden Schäden geben laut dem Bericht Grund zur Sorge. Im Jahr 2018 wurde mit einem Anstieg von 5,2 auf 9,7 Tonnen fast doppelt so viel Heroin in der EU sichergestellt wie 2017. Zudem gebe es weiterhin Berichte über die Herstellung von Heroin innerhalb Europas.
Die Zahl der Sicherstellungen von Kokain erreichte ebenfalls mit den aktuellsten Daten aus dem Jahr 2018 mit 110.000 Beschlagnahmungen und insgesamt 181 Tonnen Rekordniveau. Zudem hat sich laut dem EMCDDA-Bericht der Reinheitsgrad der Droge erhöht. "Die von organisierten kriminellen Gruppen betriebenen lukrativen Drogenmärkte sowie die Rekordmenge an sichergestelltem Kokain und die hohen Mengen beschlagnahmten Heroins belegen die anhaltende Bedrohung durch Kriminelle, die Lieferketten, Transportwege und große Häfen für den Drogenschmuggel zu nutzen suchen", erläuterte EU-Innenkommissarin Ylva Johannson.
Die große Mehrheit (69 Prozent) der in der EU sichergestellten Drogen betraf Cannabisprodukte. Cannabisharz und Cannabiskraut weisen dabei heute im Schnitt doppelt so viel des Drogeninhaltsstoffes THC (Tetrahydrocannabinol) auf wie noch vor zehn Jahren, warnte die EMCDDA vor den Folgen von hochpotentem Cannabis für die öffentliche Gesundheit. Außerdem wurde in den vergangenen drei Jahren fast wöchentlich eine Neue Psychoaktive Substanz (NPS) erstmals in Europa entdeckt, im Vorjahr waren es insgesamt 53. Hinzu kamen im Jahr 2019 acht neue nicht kontrollierte synthetische Opioide.
"Die gestiegene Verfügbarkeit jeglicher illegaler Drogen erhöht die gesundheitlichen Risiken", betonte Johannson. Die EMCDDA forderte einen besseren Zugang zu Präventions-, Test- und Behandlungsmaßnahmen von Hepatitis C für Menschen, die Drogen injizieren. Drogenüberdosen seien zudem zunehmend mit einer alternden Population verbunden. In der Gruppe der Über-50-jährigen nahm die Zahl der Überdosierungen von 2012 bis 2018 um 75 Prozent zu, geht aus dem Jahresbericht der EU-Drogenbeobachtungsstelle hervor. Im Jahr 2018 starben in der EU schätzungsweise 8.300 Menschen aufgrund einer Überdosis, in Österreich waren es 184.
Coronakrise veränderte Markt und Konsum
Die Coronakrise und besonders die Ausgangsbeschränkungen in vielen Ländern Europas im Frühjahr 2020 haben den Drogenmarkt und die Situation der Konsumenten stark verändert. Dealer und ihre Abnehmer nutzten verstärkt das Darknet, Social-Media-Plattformen sowie Paket- und Heimlieferdienste, wie der am Dienstag in Lissabon veröffentlichte Europäische Drogenbericht 2020 zeigt. Zahlreiche Drogenhilfeeinrichtungen waren zur Aufgabe oder Einschränkung ihrer Tätigkeit gezwungen.
In ganz Europa wurden heuer "in Friedenszeiten beispiellose restriktive Maßnahmen unterschiedlichen Ausmaßes ergriffen", hält die EU-Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA in ihrem 25. Jahr der Beobachtung der Drogensituation in der Europäischen Union fest. Die anschließenden Lockerungen und Aufhebungen der Vorgaben hätten die Bedingungen für eine allmähliche Rückkehr zur Lage vor Ausbruch der Coronavirus-Pandemie geschaffen. Allerdings sei die Situation weiterhin instabil, da die Pandemie viele zentrale Politikbereiche beeinflusst hat, darunter auch die Drogenpolitik.
"Die Covid-19-Pandemie hatte unmittelbar störende Auswirkungen auf den Drogenkonsum, das Drogenangebot und die Drogenhilfeeinrichtungen und brachte die besonderen Bedürfnisse von Menschen, die Drogen konsumieren, ans Licht", betonte EMCDDA-Direktor Alexis Goosdeel in einer Aussendung. Organisierte Banden änderten rasch ihr Vorgehen, da der Straßenverkauf von Drogen durch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit schwierig war. Auf Großhandelsebene nahm der Schmuggel auf dem Luftweg ab. Die Herstellung synthetischer Drogen und der Cannabisanbau in Europa waren dagegen von den Lockdowns weitgehend unbeeinflusst.
Beim Konsum zeigten sich unterschiedliche Auswirkungen. Es gab Hinweise auf ein nachlassendes Interesse an Stoffen, die häufig in Gesellschaft konsumiert werden - wie MDMA und Kokain. Dagegen schien der Konsum anderer Substanzen - z.B. Cannabis, neue Benzodiazepine - in einigen Gruppen zuzunehmen, berichtete die EMCDDA aus Studien aus dem Frühjahr 2020. Auf den lokalen Drogenmärkten war das Angebot demnach zu Beginn eingeschränkt, was zu Verknappungen und Preisanstiegen führte.
Drogenhilfeeinrichtungen schafften es laut dem Bericht durch Anpassungen und Innovationen wie der Telemedizin den Zugang zu Behandlungen und anderen Hilfsmaßnahmen sicherzustellen. "Wir müssen jedoch darauf gefasst sein, dass einige der betroffenen Gruppen im Zuge der wirtschaftlichen Folgen der Krise anfälliger für Drogen und eine Involvierung in den Drogenmarkt werden können, was unsere bereits ausgelasteten Einrichtungen noch stärker unter Druck setzen wird", erläuterte Goosdeel. Die Situation erfordere eine regelmäßige Beobachtung, heißt es in dem Jahresbericht.