Sie befinden sich derzeit auf Lesbos. Wie ist die Situation?
Doro Blancke: Alles passiert auf der Straße, während die Lastwägen vorbeifahren. Links und rechts davon leben die Menschen in Müllsäcken unter Plastikbaracken im Freien. Teilweise haben sie Matratzen, teilweise schlafen sie einfach am Boden. Die Kinder spielen auf dieser Straße. Das ist auch sehr gefährlich. Es gibt hier keine Toiletten, es fehlt an allem. Das ist für eine Europäerin ein unfassbares Bild. Es ist unbeschreiblich, es ist eigentlich die Hölle. In Moria geht es um unsere eigene Würde. Wenn wir das zulassen, dass Säuglinge keine Windeln haben und dort im Dreck liegen, da brauche ich nicht von Nächstenliebe oder Hilfsbereitschaft reden.
Was passiert aktuell?
Die Polizei hat die Leute aufgefordert, innerhalb von zwei Tagen in das neue Camp zu gehen. Ich habe das Gefühl, dass sie ansonsten ausgehungert werden. Dort gibt es aber nur Platz für 5000 Menschen, hier leben 13.000. Zuerst werden alle Familien ins Camp gebracht. Ich befürchte, es gibt Gründe, warum das neue Camp neben einem Militärflughafen errichtet wurde. Es wird schnelle Verfahren geben, unzählige Abschiebungen, wahrscheinlich auch nach Afghanistan. Beim Besuch des abgebrannten Camps habe ich bemerkt, dass hier wieder Menschen wohnen. Aus den Ruinen haben sie sich neue Unterkünfte gebaut.
Und wie sieht es mit der medizinischen Versorgung aus?
Ärzte ohne Grenzen sind vor Ort, aber für viele einfach zu weit weg. Kinder haben die Krätze, die hygienischen Bedingungen sind ein Horror. Die griechische Regierung hat keine Müllabfuhr organisiert und der Wind trägt dazu bei, den Müll im Camp zu verwehen. Dazu kommt, dass die Leute total erschöpft sind. Auch psychisch nagen die Zustände an den Menschen.
Haben sie Angst vor Corona?
Es gibt kaum Schutzausrüstung für die Flüchtlinge. Man merkt schon, dass die Menschen Angst haben. Deswegen ist es so wichtig, dass alle die herkommen und helfen einen Coronatest machen, weil man muss wirklich nicht noch den Virus auf die Insel einschleppen.
Gibt es viele freiwillig Helfer?
Die Hilfsbereitschaft ist riesig. Das, was der Kanzler sagt, dass die Mehrheit der Gesellschaft keine Hilfe für Moria will, kann ich mir nicht vorstellen. Spätestens wenn die Menschen die realistischen Bilder sehen, dann wollen sie, dass den Menschen geholfen wird.
Wie können Sie helfen?
Mit der Partnerorganisation „Home for all“ haben wir Essenausgabestationen. Wir kochen, verpacken das Essen und teilen es dann aus. Die Leute wissen das jetzt schon und warten bereits auf uns. Wir erleben die Leute sehr freundlich und dankbar. Meist ist es das einzige Essen, das sie am Tag bekommen. Das ist sehr beschämend für mich. Wir wollen in Zukunft auch Windeln und Schutzmasken ausgeben.
Die Regierung spricht ja immer “von Hilfe vor Ort”, das ist eigentlich ein Witz. Österreich hat 181 Container geschickt, die stehen immer noch in Athen.
Was nehmen Sie von Ihrem Einsatz mit?
Früher hat man ältere Menschen als Zeitzeugen in die Schule eingeladen. Wir sind jetzt Zeitzeugen von dem Wahnsinn, der abgeht auf Moria. Mit der Digitalisierung da weiß jeder, was da abgeht in Moria. Man kann nichts mehr verstecken. Ich möchte anderen mitgeben, dass man Menschen liebevoll behandeln soll, damit wir unsere Würde und unsere Werte erhalten. Wir sind nicht so, das glaube ich nicht.