Haben Sie dieses rote Dings vorhin an der Decke der Eingangshalle gesehen?“ Der Busfahrer macht es spannend. „Das soll ein fliegender Teppich sein und die Gäste am Airport begrüßen.“ Stilles Staunen im Bus. Zuletzt konnte man den Eindruck gewinnen, der geplante Großflughafen vor den südlichen Toren der deutschen Hauptstadt sei ein Märchen aus „1001 Nacht“.
Am treffendsten für den pannenbehafteten Jahrhundertbau war eine Persiflage auf die Mauerbaulüge von Walter Ulbricht 1961: „Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu errichten.“ Am 19. August wurde ein bemerkenswertes Jubiläum gefeiert: 3000 Tage seit Nichteröffnung, also seit der geplatzten Party am 30. Juni 2012 mit 40.000 Gästen. Es folgte eine unglaubliche Kette von Pannen.
Es wird getestet
Nun also ist der BER fertig und wird getestet. Dafür wurden freiwillige Komparsen angeheuert, die alle Abläufe auf die Probe stellen sollen.An diesem sonnigen Septembervormittag sind es rund 400. Alle bekommen einen Ablaufplan, Koffer und eine neue Identität. Manche auch mehr. „Sie haben eine kleine Sonderaufgabe“, sagt der Einweiser zu einem älteren Ehepaar. „Sie bekommen ein Baby.“ Alle Umstehenden lachen. Es wird noch viel gewitzelt an diesem Tag. Dabei ist alles ganz ernst.
Die Flughafenbetreiber wollen die letzten Schwachstellen ausfindig machen. Dafür muss alles so realistisch wie möglich sein. Später wird ein Brand ausbrechen. Ein gespielter natürlich. Immerhin war die Brandschutzanlage der Grund, warum der BER wenige Tage vor dem Start keine Betriebserlaubnis erhielt.
Alle Genehmigungen liegen vor
Diesmal liegen seit April alle Genehmigungen vor.Weil aber der neue Großflughafen, der den alten in Schönefeld und jenen in Tegel ersetzen soll, eben nicht ganz fertig ist, müssen die Komparsen in Bussen über das Rollfeld düsen, um einen Flug zu simulieren. Für mich geht es nach Kutaissi mit Wizz Air, Flug W6 9999, Abflug 13.15. Alle schauen beim Einchecken auf ihr Handy. Und Google verrät: Wir fliegen nach Georgien. Mein Drehbuch sagt: Ein Koffer, kein Gepäckwagen.
Ich bin in die Haut von Berk Strobel geschlüpft. Der Grenzbeamte schaut mich scharf an und zählt mit den Fingern zehn Sekunden herunter. „So lange dauert die Passprüfung in Echtzeit.“ Er entdeckt mein abgelaufenes Visum, mein Geheimauftrag. „Eigentlich müssten wir jetzt in die Wache und jede Menge Schriftkram machen“, sagt er, ist aber gnädig: „Okay, Sie bekommen 15 Minuten Strafzeit. Stellen Sie sich dort in die Ecke.“ Ich darf einen Kaffee trinken. Wir grinsen.
Eigenmächtigkeit verboten
Aber nur abgesprochene Szenarien sind erlaubt. Wer unerlaubt Getränke oder eine Schere in die Sicherheitskontrolle mitnimmt, kann ernsthaft bestraft werden. Auch wer eine Waffe versteckt. Da ist die Probe dann kein Spaß mehr.
Zwischendurch darf man sich das Terminal frei anschauen. Das Architektenbüro Gerkan, Marg und Partner hat funktional, aufgeräumt und ohne überbordenden Schnickschnack gebaut. Die Kritiker sind gespalten. „Altmodisch“ sagen die einen, „elegant“ die anderen. Dabei ist der Retrostyle gewollt. Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg haben von 1965 bis 1974 als frisch studierte Architekten den Westberliner Flughafen Tegel gebaut. Sie werden zuschauen, wie er am 8. November schließt. Im BER schlummern Anlehnungen an ihr Erstlingswerk, es ist nach vielen weltbekannten Bauten ihr Opus Magnum. Das Nussbaumfurnier der Schalter dominiert, es gibt viel Glas und wenige Stahlträger. Die Wege sind kurz vom Bahnhof bis zum Gate. Es dominiert das Helle.
Verwirrung auf dem Rollfeld
Auf dem Rollfeld kommt es zur Verwirrung. Ein Mann steigt ein und fragt laut: „Ist das der Bus nach Georgien?“ Der Fahrer nickt und fährt los. Es wird eine Sightseeingtour über das riesige Gelände. Der BER ist nach Frankfurt und München der drittgrößte Flughafen Deutschlands, Tegel wirkt dagegen winzig. Der Bus kommt nach 20 Minuten wieder an. Ich lande aus Rom, hole zwei Koffer für den zweiten Flug und wechsle meine Identität. Auf dem Weg zum Gate wird einem Passagier beim Anrempeln die Geldbörse entwendet. Zwei echte Polizisten simulieren einen Einsatz. Sie suchen nach einem Mann mit blauem T-Shirt. Kurz darauf ist er gefasst. Der Tag geht dem Ende zu. Ich muss aber noch nach Großbritannien. Also auf zum Gate.
Überall wird noch an der Technik gebastelt, werden Geschäfte eingeräumt, Verkleidungen an den Wänden vollendet. Logistiker erklären an Tafeln den Flughafen. Seit zwei Monaten wird nun schon getestet, immer dienstags und donnerstags. Zunächst waren es die Mitarbeiter, seit 21. 7. sind es unabhängige Komparsen, bis Oktober sollen es 9000 sein. Im Februar plante man noch Proben mit 20.000 Freiwilligen. Wegen der Coronakrise wird alles – selbst die Party am 31. Oktober – eine Spur kleiner.Es wirkt an diesem Tag schon real und gleichzeitig doch unwirklich wie im Märchen. Aber alles läuft diesmal rund. Es sieht so aus, als wenn nach 3073 Nächten wirklich geflogen wird.