"Die Explosion im Hafen von Beirut hat die Malaise des libanesischen Staates offenbart, der von einem Kartell von Sektenführern ausgequetscht und ausgehöhlt wurde". Diese Analyse äußerte Andreas Böhm, Politologe der Schweizer Universität Sankt Gallen jüngst gegenüber der APA. Daher sei auch bei der humanitären Hilfe, die nun in den Libanon fließe, Vorsicht angebracht.
"Diese ehemaligen Kriegsherren haben ein Patronage System aufgebaut, das fast alle Bereiche der Gesellschaft umfasst. Sie seien "zu politischen Unternehmern geworden", meinte der Direktor des "Center for Philantrophy" der Sankt Galler Universität in einer schriftlichen Analyse. "Dazu gehören nicht nur ihre kommerziellen Interessen, sondern auch gemeinnützige Institutionen, die sie zur Verbreitung von Geldern einsetzen." Die humanitäre Hilfe, die nun in den Libanon fließen wird, sei zwar absolut notwendig, meinte der Experte, "aber es besteht die Gefahr, dass sie diese korrupten Netzwerke verstärkt."
Transparenz und Rechenschaftspflicht
Daher sollte die internationale Gemeinschaft alle Anstrengungen unternehmen, "um Transparenz und Rechenschaftspflicht zu gewährleisten." Im Prinzip brauche der Libanon "eine unabhängige Regierung, die nicht länger Marionetten in den Händen des Kartells ist, sondern eine Kontrolle der Staatsfinanzen, die Einrichtung ordentlicher staatlicher Funktionen", hielt Böhm fest. Es müsse eine überwachte Umwandlung in einen Zivilstaat gehen. "Die internationale Gemeinschaft darf sich nicht mehr wie bisher in den Libanon einmischen, sondern muss für externe Stabilisierung sorgen."
Die (radikal-islamische) Hisbollah sei der "Elefant im Raum", formulierte der Experte. "Sie hat sich von einer Miliz zu einer multinationalen Armee entwickelt, die den Staat erobert hat. Um die Hisbollah zu verkleinern, ohne einen totalen Krieg zu provozieren, bedarf es eines regionalen Abkommens, das den Iran miteinschließt."
Die Explosion am 4. August mit mindestens 180 Toten und rund 6.000 Verletzten soll durch große Mengen Ammoniumnitrat verursacht worden sein. Diese waren nach Regierungsangaben über Jahre ohne Sicherheitsvorkehrungen im Hafen gelagert worden. 300.000 Menschen wurden obdachlos, große Teile der Stadt stark beschädigt.
Als Reaktion auf die Katastrophe und die darauffolgenden Proteste hatte die Regierung von Ministerpräsident Hasan Diab am Montag ihren Rücktritt angekündigt. Auch mehrere Parlamentsabgeordnete traten zurück. Viele Libanesen machen politisches Versagen und die grassierende Korruption für die Explosionskatastrophe verantwortlich.