Nach der Explosion in Beirut mit bis zu 150 Toten ist es in der Nacht zum Freitag vereinzelt zu Protesten gekommen. Mehrere Menschen wurden bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften verletzt, wie die staatliche Nachrichtenagentur NNA berichtete. Dutzende hätten versucht, die Absperrung zum Parlamentsgebäude in der libanesischen Hauptstadt zu durchbrechen.
Die Demonstranten setzten dort Werbetafeln, Bretter und Müllhaufen in Brand und warfen mit Steinen auf Sicherheitskräfte. Diese setzten teilweise Tränengas ein. Das meldete die staatliche libanesische Nachrichtenagentur NNA. Einige Demonstranten seien bei dem Einsatz der Sicherheitskräfte verletzt worden. Die Demonstranten sehen die verheerenden Explosionen als Beleg für die Inkompetenz der Regierung - ein Vorwurf, der in der libanesischen Bevölkerung weit verbreitet ist.
Lange in der Krise
Schon vor der Katastrophe hatte es immer wieder Demonstrationen gegen die Regierung gegeben, der viele Bürger auch Korruption vorwerfen. Der Libanon steckt in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Die Krise war in den vergangenen Monaten durch die Corona-Pandemie verschärft worden.
In Beirut hatte eine verheerende Detonation große Teile des Hafens zerstört und ganze Straßen im Zentrum in Scherben und Trümmer gelegt. Nach unterschiedlichen Angaben wurden bis zu 150 Menschen getötet und weitere 5000 verletzt. Rund 300.000 Menschen haben ihr Zuhause verloren. Davon sind dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF zufolge schätzungsweise 80.000 Kinder.
Explodiert waren nach den Behördenangaben 2750 Tonnen Ammoniumnitrat, das jahrelang ohne die nötigen Sicherheitsvorkehrungen in einer Lagerhalle am Hafen untergebracht gewesen war. Ammoniumnitrat kann für Düngemittel oder zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden. Die genauen Ursachen der Explosionen sind noch ungeklärt. 16 Hafen-Mitarbeiter wurden inzwischen in Gewahrsam genommen, wie die Militärstaatsanwaltschaft mitteilte.
Im Libanon war es bereits seit Oktober zu Massenprotesten gekommen, die auch zum Rücktritt von Ministerpräsident Saad Hariri führten. Sie richteten sich gegen die Führung des Landes, der die Demonstranten Korruption und Verschwendung von Staatsgeld vorwerfen. Das kleine Mittelmeerland ist hoch verschuldet und steckt in seiner schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Die Proteste hatten das öffentliche Leben in der Hauptstadt teilweise lahmgelegt.
Maas warnt vor Destabilisierung des Libanon
Deutschlands Außenminister Heiko Maas (SPD) hat vor einer weiteren politischen Destabilisierung des Libanon als Folge der Explosionskatastrophe gewarnt. Es gebe im Land bereits nicht-staatliche, aus dem Ausland finanzierte Akteure wie die schiitische Hisbollah, die ein entstehendes Vakuum nutzen könnten, sagte Maas der "Saarbrücker Zeitung" (Freitagsausgabe).
Die Katastrophe berge deshalb das "hohe Risiko", den Libanon "weiter zu destabilisieren". Der Außenminister nannte eine zeitnahe internationale Geberkonferenz für das Land sinnvoll. Die Bundesregierung wolle den Libanon stärken, denn die Lage dürfe nicht genutzt werden, um ausländischem Einfluss "Tür und Tor zu öffnen". Auch könne kein Land eine derartige Katastrophe alleine bewältigen. In der EU müsse daher überlegt werden, wie die weitere Hilfe bei der Versorgung mit Nahrung und Notunterkünften sowie beim Wiederaufbau von Hafen und Stadt organisiert werden könne.
Die Landesregierung des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen hat einem Bericht zufolge die Aufnahme von Verletzten aus dem Libanon angeboten. Wie die Zeitungen der Funke Mediengruppe (Freitag) berichten, schrieb NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) einen entsprechenden Brief an Libanons Botschafter in Deutschland.
In dem Schreiben an Mustapha Adib-Abdul-Wahed heißt es, dass das Land bereit sei, schwerverletzte Patienten aus den überfüllten Krankenhäusern in Beirut in Nordrhein-Westfalen zu behandeln.