Nach den verheerenden Explosionen mit mehr als 100 Toten und rund 4000 Verletzten in Beirut geht die Suche nach der Ursache weiter. Laut den libanesischen Behörden waren am Dienstag 2750 Tonnen Ammoniumnitrat detoniert, das seit sechs Jahren ohne Vorsichtsmaßnahmen in einem Lagerhaus untergebracht war. Weshalb die Substanz explodierte, ist bisher völlig unklar.
Ammoniumnitrat ist ein starkes Oxidationsmittel, das zur Herstellung von Düngemittel, aber auch von Sprengsätzen verwendet wird. Unter normalen Lagerbedingungen und bei mäßigen Temperaturen entzünde sich Ammoniumnitrat nur schwer, erläutert die Chemie-Expertin Jimmie Oxley von der Universität in Rhode Island. Auf Videos der Explosionen in Beirut sei zunächst schwarzer, dann roter Rauch zu sehen. "Ich gehe davon aus, dass es eine kleine Explosion gab, die die Reaktion des Ammoniumnitrats auslöste - ob diese kleine Explosion ein Unfall war oder beabsichtigt, weiß ich nicht", sagt Oxley.
Normalerweise wird die Chemikalie unter strengen Bedingungen gelagert: So muss sie etwa von Brennstoffen und Wärmequellen ferngehalten werden. In vielen EU-Ländern muss Ammoniumnitrat zudem mit Kalk versetzt werden, um es sicherer zu machen. Das geruchlose Salz war in den vergangenen Jahrzehnten bereits für zahlreiche Explosionen verantwortlich - bei Unfällen und Anschlägen.
Nicht das erste Unglück
So wurden 1921 bei einem Unfall in einer Chemiefabrik des deutschen UnternehmensBASF in Oppau 561 Menschen getötet. Der Attentäter des Anschlags in Oklahoma City 1995 mit 168 Toten verwendete beim Bau der Bombe zwei Tonnen der Substanz. In einer Chemiefabrik im französischen Toulouse kamen bei der Explosion von rund 300 Tonnen Ammoniumnitrat 2001 insgesamt 31 Menschen ums Leben. Auch bei einer Explosion in einer Düngemittelfabrik in Texas starben im Jahr 2013 15 Menschen.
Schweres Unglück in Deutschland
Am 21. September 1921 detonierten in einem Werk des Chemiekonzerns BASF in Oppau bei der deutschen Stadt Ludwigshafen 4500 Tonnen Ammoniumsulfatsalpeter - eine als Düngemittel verwendete Mischung aus Ammoniumnitrat und Ammoniumsulfat. Mehr als 500 Menschen starben, die genaue Zahl ist unklar.
Die umliegenden Gemeinden wurden verwüstet, die Explosion war noch bis ins rund 75 Kilometer entfernte Frankfurt am Main zu spüren und richtete selbst über diese Entfernung Schäden an. Zu hören war sie laut Zeugen noch im 300 Kilometer entfernten München.
Mehr als 1.000 Menschen wurden bei dem Vorfall verletzt, der zu den weltweit bisher größten Industrieunglücken gehört und große Bestürzung auslöste. Beschreibungen und Zeichnungen, die damals von dem Geschehen entstanden, erinnern stark an aktuelle Bilder aus Beirut. Es kam direkt nacheinander zu zwei Detonationen, wobei die zweite viel stärker war. Es entstand ein riesiger Rauchpilz.
Die Düngesalzmischung explodierte in einem Silo. Ursache waren späteren Untersuchungen zufolge Fehleinschätzungen bei Lagerung und Verarbeitung. So wurde die zu Verklumpung neigende Masse durch kleine Sprengungen aufgelockert - was nur sicher ist, solange der Ammoniumnitratanteil unter einer bestimmten Schwelle liegt. Eine erste Detonation löste dann die weit größere zweite Explosion aus.
Trotz der Gefahren ist Ammoniumnitrat laut Oxley in der Landwirtschaft und für Sprengungen in der Bauindustrie unverzichtbar. "Ohne Sprengstoff wäre die moderne Welt nicht möglich, und ohne Ammoniumnitrat-Dünger könnten wir die heutige Bevölkerung nicht ernähren", sagt sie. "Wir brauchen Ammoniumnitrat - wir müssen nur genau darauf achten, was wir damit machen."