Das Unglück hat sich bei strömendem Regen ereignet, während Familien auf dem Weg zum Sommerurlaub in Ligurien waren. "Ich habe einen Blitz in die Brücke einschlagen sehen - und dann brach das Viadukt in sich zusammen", berichtete eine Augenzeugin. Fahrzeuge stürzten 40 Meter in die Tiefe und verkeilten sich in den Trümmern. Bei der Katastrophe in Genua vor zwei Jahren kamen 43 Menschen ums Leben.

Die vierspurige Morandi-Brücke im Westen von Genuabrach auf einer Länge von mehr als 200 Metern ein. 35 Autos und drei Lastwagen stürzten in den Fluss Polvecevera und wurden teils unter herabfallenden Betontrümmern begraben. Die 1967 fertiggestellte Brücke überspannte Dutzende Bahngleise sowie ein Gewerbegebiet mit Gebäuden und Fabriken. Zum Unglückszeitpunkt wurden Wartungsarbeiten an der Brücke vorgenommen, überdies gab es ein heftiges Unwetter.

Die Brücke war Teil der Autobahn 10, die als "Autostrada dei Fiori" (Blumenautobahn) bekannt und eine wichtige Verbindungsstraße nach Südfrankreich, in den Piemont und die Lombardei ist. Infolge des Unglücks wurden 600 Menschen obdachlos. Sie wohnten in den Gebäuden, die sich unmittelbar unter der Brücke befanden. Der Einsturz sei wegen der vielen baulichen Mängel an der Spannbetonbrücke vorhersehbar gewesen, meinten Experten. Die italienische Justiz ermittelt in dem Fall gegen eine Reihe von Beschuldigten und die Betreiberfirma Autostrade per l'Italia (Aspi), einer Tochtergesellschaft der Unternehmerdynastie Benetton.

Die ligurische Haupt- und Hafenstadt stand nach dem Unglück unter Schock, der Verkehr wurde durch die Innenstadt umgeleitet, an jedem Tag ohne Brücke verlor Genua sechs Millionen Euro. Der Hafen, einer der größten des Mittelmeerraums, erlitt wegen der fehlenden Verbindung Riesenverluste. Die Fahrtzeit von Genua nach Mailand verdoppelte sich wegen der ständigen Staus auf drei Stunden. Der Warenumschlag in Italiens größtem Hafen, der vital ist für die Versorgung Norditaliens ist, schrumpfte laut dem Industriellenverband Confindustria seit der Katastrophe um zehn Prozent.

"Der Brückeneinsturz ist Genuas Ground Zero. Für uns Genueser ist der Einsturz der Morandi-Brücke eine schreckliche Tragödie. Wir trauern um die Todesopfer, wir schauen aber gleichzeitig in die Zukunft", sagte der Bürgermeister der Stadt, Marco Bucci. Am Montag wird er im Beisein des italienischen Staatschefs Sergio Mattarella die neue Brücke einweihen. Das neue Viadukt wurde vom Stararchitekten Renzo Piano entworfen, einem Sohn Genuas.

Stararchitekt Renzo Piano
Stararchitekt Renzo Piano © AP/Piero Cruciatti

Brücke "San Giorgio" heißt das neue Viadukt, das im Eiltempo errichtet und einem für die Stadt wichtigen Heiligen gewidmet wurde. In knapp über einem Jahr wurde die Brücke gebaut. Selbst die Coronavirus-Epidemie stoppte die Bauarbeiten nicht. Tausend Arbeiter waren rund um die Uhr tätig. Finanziert wurde das 202 Millionen Euro teure Projekt vom Autobahnbetreiber "Autostrade per l'Italia", dessen ungenügende Wartung Hauptgrund für den Einsturz war.

"Die Brücke 'San Giorgio' ist nicht nur ein Autobahnviadukt für Genua, sondern ein Neuanfang für ganz Italien", sagte Bürgermeister Bucci. Als "nüchtern, sparsam, einfach und stark, wie Genua selbst" bezeichnet der 82-jährige Architekt Piano sein Werk in Form eines Schiffes, gesäumt von dreieckigen Flügelelementen. "Genua ist eine stille, umsichtige, aber mutige Stadt, die mit Entschlossenheit auf die Brücken-Tragödie reagiert hat", erklärte der Architekt.

Brücke "San Giorgio" heißt das neue Viadukt
Brücke "San Giorgio" heißt das neue Viadukt © AP/Piero Cruciatti

Piano hatte schon den Hafen von Genua anlässlich der Expo 1992 völlig neu gestaltet. Er verwandelte das ehemals heruntergekommene Viertel um den Hafen in einen beliebten Treffpunkt für Genueser und Touristen. Er eröffnete den historischen Teil des Hafens für die Bürger und schaffte eine Vergnügungsmeile mit Geschäften, Restaurants, Kaffeehäusern, Jachthafen und einem 500 Meter langen Aquarium, einem Hauptanziehungspunkt für Touristen und Einheimische.

Die feierliche Einweihung der neuen Brücke kurz vor dem zweiten Jahrestag der Tragödie ist auch mit großen Kulturevents verbunden. Im Theater "Carlo Felice" wird am Freitag erstmals das Stück "Tante pietre a ricordare" (Viele Steine zur Erinnerung) aufgeführt, das der am 6. Juli verstorbene Filmmusikkomponist Ennio Morricone in Andenken an die Opfer der Morandi-Brücke komponiert hatte. Das Werk für Orchester und Chor ist das letzte Stück, an dem der 91-jährige Morricone vor seinem Tod gearbeitet hat.

Der Maestro hätte es selber im Theater von Genua dirigieren wollen, er wird jetzt am Podium von seinem Sohn Andrea ersetzt, der wie sein Vater Dirigent und Komponist ist.