Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis kommen die USA nicht zur Ruhe. In mehreren US-Metropolen kam es in der sechsten Nacht in Folge zu Protesten, die teils in Gewalt ausarteten. Der Sender CNN berichtete, in New York seien Tausende Menschen auf die Straße gegangen. Auf Fernsehbildern waren brennende Fahrzeuge in Boston und Plünderungen in Philadelphia zu sehen. Auch aus Los Angeles wurden Plünderungen berichtet.
In der US-Hauptstadt Washington zogen Demonstranten am Sonntagabend (Ortszeit) erneut vor das Weiße Haus. Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei. Demonstranten skandierten "Kein Frieden ohne Gerechtigkeit", wie ein dpa-Reporter berichtete. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas, Pfefferspray und Blendgranaten gegen Menschen ein, die sich in einem an den Amtssitz von US-Präsident Donald Trump angrenzenden Park versammelt hatten. Demonstranten entzündeten dort mehrere große Feuer. CNN meldete, bereits am Freitag sei Trump wegen der Proteste vor dem Weißen Haus für knapp eine Stunde in einen Bunker gebracht worden.
Ausgangssperren in 40 US-Städten
Nach CNN-Angaben verhängten mindestens 40 Städte in den USA nächtliche Ausgangssperren, darunter auch Washington. Die Bürgermeisterin von Washington, Muriel Bowser, ordnete für die Nacht auf Montag (Ortszeit) eine Ausgangssperre für den gesamten Hauptstadtbezirk an. Von den Maßnahmen waren demnach insgesamt zehn Millionen Menschen betroffen. Der Gouverneur des Bundesstaats Arizona, Doug Ducey, erließ sogar für die gesamte Woche bis zum 8. Juni eine nächtliche Ausgangssperre.
Mindestens 15 der 50 US-Bundesstaaten und der Hauptstadtbezirk Washington mobilisierten die Nationalgarde mit insgesamt 5.000 Mitgliedern, wie CNN berichtete. Die Nationalgarde gehört zur Reserve der US-Streitkräfte und kann in Bundesstaaten in Ausnahmesituationen zu Hilfe gerufen werden.
In der direkt an Minneapolis angrenzenden Stadt St. Paul versammelten sich tausende Menschen vor dem Kapitol, in dem Gouverneur und Generalstaatsanwalt sowie das Parlament von Minnesota ihre Amtssitze haben. Ihre Generation sei "die Unterdrückung leid", sagte die 31-jährige Afroamerikanerin Muna Abdi. Sie wolle, dass ihr dreijähriger Sohn "am Leben bleibt". Größere Demonstrationen gab es am Sonntag auch in New York und Miami.
Trump machte am Sonntag erneut linksradikale Gruppen und die Antifa für die Ausschreitungen verantwortlich. Er kündigte an, die Antifa solle als Terrororganisation eingestuft werden. Details ließ er offen. Die Antifa hat keine zentrale Führungs- oder Organisationsstruktur. Zum Antifaschismus bekennen sich zahlreiche unterschiedliche linke oder auch linksradikale Gruppen in den USA.
Floyd war am Montagabend nach einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis im Bundesstaat Minnesota gestorben. Einer von vier beteiligten Beamten drückte dem 46-Jährigen minutenlang sein Knie in den Nacken. Bitten des Afroamerikaners, ihn atmen zu lassen, ignorierte er. Bei den Protesten in Washington und anderen Städten trugen Demonstranten Schilder mit "Ich kann nicht atmen".
Bereits in den vergangenen Nächten war es bei Protesten in zahlreichen Städten zur Gewalt gekommen - von New York an der Ostküste bis Los Angeles an der Westküste. Nach Angaben örtlicher Behörden wurden Hunderte Menschen festgenommen. Alleine in Los Angeles meldeten die Sicherheitskräfte am Sonntag rund 400 Festnahmen, in Chicago mehr als 200.
Nach den Ausschreitungen rief Trump demokratische Bürgermeister und Gouverneure zum Durchgreifen auf. "Legen Sie eine härtere Gangart ein", schrieb Trump am Sonntag auf Twitter. "Diese Menschen sind Anarchisten. Rufen Sie jetzt unsere Nationalgarde. Die Welt schaut zu und lacht Sie und den Schläfrigen Joe aus." Der Republikaner Trump verunglimpft seinen voraussichtlichen Herausforderer bei der Präsidentenwahl im November, den demokratischen Ex-Vizepräsidenten Joe Biden, regelmäßig als "Schläfrigen Joe".
Der designierte Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Biden, verurteilte ebenfalls die Gewalt, unterstrich aber auch das Recht auf Demonstrationen gegen Polizeigewalt. "Gegen solche Brutalität zu protestieren, ist richtig und notwendig", erklärte er. Dies rechtfertige aber keine "unnötige Zerstörung". Biden besuchte am Sonntag nach eigenen Angaben den Ort eines Anti-Rassismus-Protests im Bundesstaat Delaware. Dabei sei es ihm darum gegangen, den Menschen "zuzuhören", twitterte der frühere Vizepräsident.
In weiteren Tweets lobte Trump erneut den Einsatz der Nationalgarde im US-Bundesstaat Minnesota, wo die Proteste ausgebrochen waren, und mahnte, die Kräfte hätten früher angefordert werden sollen. In einem anderen Tweet schrieb der Präsident in Großbuchstaben schlicht: "Recht & Ordnung!" Trump wirft den Demokraten immer wieder vor, nicht hart genug gegen Kriminalität vorzugehen.
Der Polizeichef von Minneapolis, Medaria Arradondo, entschuldigte sich am Sonntagabend bei den Angehörigen Floyds. "Wenn ich irgendetwas tun könnte, um Herrn Floyd zurückzubringen, würde ich Himmel und Erde bewegen, um es zu tun", sagte Arradondo bei einem Auftritt an dem Ort, an dem Floyd getötet worden war. Arradondo hatte die vier beteiligten Polizisten entlassen. Einer davon - der über Minuten hinweg sein Knie auf Floyds Nacken gedrückt hatte - wird wegen Mordes angeklagt.
"Ich will Gerechtigkeit - jetzt"
Der Bruder des Toten, Philonise Floyd, sagte CNN am Sonntagabend, er fordere, dass auch die anderen drei Ex-Polizisten festgenommen würden. "Ich will Gerechtigkeit - jetzt." Das Weiße Haus kündigte an, Trump werde am Montag im Lagezentrum der US-Regierungszentrale eine Videokonferenz mit Gouverneuren und Vertretern von Sicherheitsbehörden abhalten. Dabei werde es darum gehen, wie Gemeinschaften in den USA geschützt würden.
Aus Solidarität mit den Afroamerikanern in den USA sind auch im weit entfernten Neuseeland tausende Menschen auf die Straße gegangen. In Auckland zogen am Montag rund 2.000 Demonstranten vor das US-Konsulat und riefen "Keine Gerechtigkeit, kein Frieden", und "Schwarze Leben zählen".
In Christchurch versammelten sich rund 500 Menschen. Vor dem Parlament in der Hauptstadt Wellington wurde eine größere Menschenmenge zu einer Mahnwache erwartet. Im Gegensatz zu den gewaltsamen Protesten in den USA blieben die Demonstrationen in Neuseeland zunächst friedlich.