"Diesen Ramadan vermissen wir eine Menge Traditionen", erzählt Ali al-Ruhaibi aus Libyen. "Wir vermissen die gemeinsamen Gebete in den Moscheen, die Koranrezitationen, das Lächeln der Menschen bei den Armenspeisungen in den Straßen." Für rund 1,8 Milliarden Muslime hat am Freitag der Fastenmonat begonnen, in dem gläubige Muslime zwischen Sonnenauf- und untergang auf Essen, Trinken, Rauchen und Sex verzichten. Am Abend darf dann im Rahmen eines gemeinschaftlichen Fastenbrechens (Iftar) ausgiebig gespeist werden.
In einigen Ländern wie Oman und Iran beginnt der Ramadan erst am Samstag. Der Beginn richtet sich nach der Sichtung des Neumondes und kann variieren. Saudi-Arabien sowie die meisten anderen arabischen Staaten beginnen den diesjährigen Ramadan später als Österreich oder Deutschland. Sie haben den offiziellen Beginn für Freitagabend festgelegt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Hinweise für Muslime veröffentlicht, um eine Ausbreitung des Corona-Virus zu verhindern. Neben gesteigerter Hygiene sollten Gläubige auf ausreichend Abstand achten und, wenn möglich, Treffen unter freiem Himmel abhalten.
Große Unterschiede
Der Umgang mit dem Corona-Virus und dem Ramadan wurde in der arabischen Welt teilweise kontrovers diskutiert. Forderungen nach einer Absage des Fastens erteilte die einflussreiche Al-Azhar-Lehranstalt in Kairo am Freitag aber eine klare Absage. Das Fasten im Ramadan sei obligatorisch, betonte der Großimam der Al-Azhar, Ahmed al-Tayeb, in einer Videobotschaft. Das Fasten gehört zu den fünf Säulen des Islam. Normalerweise kommen die Menschen abends zum gemeinsamen Fastenbrechen zusammen. Gläubige verbringen die Zeit zudem in Moscheen, um gemeinsam zu beten und den Koran zu lesen. Auch große Essenstafeln für Bedürftige sind in vielen Ländern, wie etwa in Ägypten, verboten worden.
"Es schmerzt mich, dass wir diesen Monat unter Umständen beginnen, die uns vom gemeinsamen Gebet in den Moscheen abhalten", sagte Saudi-Arabiens König Salman in einer Mitteilung der staatlichen Nachrichtenagentur SPA. In dem Königreich sind mit Mekka und Medina die beiden heiligsten Stätten des Islam beheimatet. In der Türkei behalten Behörden sich sogar vor, Straßen abzusperren, sollte es dort zu Menschenansammlungen kommen. Das gemeinsame Fastenbrechen in großen Gruppen ist untersagt. Auch Zelte, die traditionell etwa auf dem Istanbuler Taksim-Platz zum Fastenbrechen aufgestellt werden, gibt es dieses Jahr nicht. Der mit offiziell mehr als 86.000 Infizierten besonderes betroffene Iran will Anfang Mai eine rasche Wiedereröffnung der heiligen Stätten und Moscheen prüfen.
Während in den meisten islamisch geprägten Ländern Moscheen also geschlossen bleiben, setzt Pakistan auf einen anderen Weg. Dort bleiben Moscheen geöffnet, aber die Teppiche müssen aus hygienischen Gründen entfernt werden. Zudem sollen Abstandsregelungen eingehalten werden. In Afghanistan finden weiterhin vielerorts Freitagsgebete statt. Indonesien - das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt - hat seinen Bürgern untersagt, zum Fest des Fastenbrechens (Eid al-Fitr) am Ende des Ramadan in ihre Heimatstädte zu reisen. Vergangenes Jahr waren dazu etwa 15 Millionen Muslime aus der Hauptstadtregion Jakarta Richtung Heimat gefahren.
Zu Hause beten
Die religiösen Autoritäten vieler Länder unterstützen die Restriktionen und fordern die Gläubigen auf, zu Hause zu beten und sich nicht in größeren Gruppen zu versammeln. In Indonesien, dem Land mit der größten muslimischen Gemeinde der Welt, riefen die meisten Religionsverbände die Gläubigen auf, zu Hause zu bleiben. Der führende islamische Verband der von Fundamentalisten verwalteten indonesischen Provinz Aceh widersetzte sich jedoch öffentlich der Anordnung: Mehrere tausend Gläubige besuchten am Donnerstag die Abendgebete in der größten Moschee der Hauptstadt Banda Aceh. "Ich mache mir keine Sorgen, weil ich eine Gesichtsmaske trage und Abstand halte", sagte der Gläubige Cut Fitrah Riskiah.
In Bangladeschs Hauptstadt Dhaka schlossen die Behörden einen jahrhundertealten Markt, auf dem normalerweise traditionelle Köstlichkeiten für den Ramadan verkauft werden. "Dies ist das erste Mal seit rund 400 Jahren, dass der Markt keine Produkte für Iftar verkauft", sagte der örtliche Polizeichef Mudut Howlader. Die fundamentalistische Gruppierung Hefasat-e-Islam in Bangladesch kritisierte den beschränkten Zugang zu den mehr als 300.000 Moscheen im Land. "Beschränkungen für die Teilnahme am Gebet verstoßen gegen den Islam", sagte Mojibur Rahman Hamidi, ein Vertreter der Gruppierung, der Nachrichtenagentur AFP. "Ein gesunder Muslim muss sich den Gebeten in einer Moschee anschließen. Wir hoffen, dass Allah uns vor dem Coronavirus retten wird, wenn wir inbrünstig beten."
In Malaysia wurde die strikte Ausgangssperre bis Mitte Mai verlängert. Moscheen, Schulen und die meisten Läden bleiben geschlossen. Auch hier wurden die beliebten Ramadan-Basare verboten. Stattdessen können die Malaysier nur auf "E-Basaren" im Internet Köstlichkeiten für das Fastenbrechen bestellen. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland schlug vor, den Muezzin-Ruf vorübergehend der Corona-Krise anzupassen. Er halte es für denkbar, dass die Muezzine in Deutschland "Betet zu Hause" statt "Kommt her zum Gebet" rufen, sagte der Zentralratsvorsitzende Aiman Mazyek der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Freitagausgabe). So werde es in vielen Teilen der islamischen Welt derzeit praktiziert.