Politiker in weiten Teilen Europas wollen Autos mit hohem Abgasausstoß einen Riegel vorschieben. Die Wut vieler Fans von starken Motoren entlädt sich nicht an ihnen, sondern an Greta Thunberg. Immer öfter sieht man „F*ck you Greta“-Sticker am Heck von Pkws. „Die junge Klimaaktivistin ist zur Hass-Projektionsfigur geworden, weil sie vielen Menschen durch ihre radikale und fordernde Haltung ein schlechtes Gewissen macht“, analysiert der Grazer Psychologe Enrique Grabl die Stimmung gegen die junge Schwedin.
Greta Thunberg emotionalisiert und polarisiert. Sie zählte sowohl beim UN-Klimagipfel vergangenen September als auch beim Weltwirtschaftsforum in Davos zum kleinen Kreis der tonangebenden Personen, ihre (Wut-)Reden gehen um die Welt. Die inzwischen 17-jährige Ikone der Klimaschutzbewegung erntet viel Lob, ist aber gleichzeitig immer häufiger Anfeindungen der Gegenbewegung zu „Fridays for Future“ ausgesetzt. „Thunberg steht für die Notwendigkeit eines Einstellungswandels und die Bereitschaft, zu verzichten. Dazu sind viele Menschen noch nicht bereit, weil das auch eine Einschränkung der Bequemlichkeit und des persönlichen Prestigebedürfnisses bedeuten würde“, sagt Grabl.
Besonders drastisch spiegelt sich die ablehnende Haltung gegenüber Greta Thunberg in den sozialen Medien wider: Dabei geht es selten um die Inhalte, vielmehr zielen die User darauf ab, Thunberg als Person zu diffamieren.
Die Wiener Social-Media-Expertin Sabrina Hanneman ortet hier ein völlig neues Phänomen: „Erwachsene gehen mit beispielloser Härte gegen eine Jugendliche vor. Die persönliche Ebene steht dabei im Vordergrund. Ihr Alter, ihr Erscheinungsbild und selbst das diagnostizierte Asperger-Syndrom werden zum Thema.“ Dazu müsse allerdings gesagt sein, dass zur Stimmungsmache auf Facebook und Co. oft Fake-Accounts benutzt würden. „Nicht alles, was man wahrnimmt, ist auf die Meinung realer Menschen zurückzuführen. Der Unterschied ist oft nur auf den zweiten Blick erkennbar, die Mühe zur Recherche macht sich aber kaum jemand“, gibt Hanneman zu bedenken. Die schwedische Klimaaktivistin hat aufgrund ihrer hohen Fan- und Followerzahlen großen Einfluss, trifft weltweit Entscheidungsträger und hat dort eine Stimme, wo das Mitspracherecht der meisten Menschen längst endet. „Ihre Forderungen werden in den Augen vieler als ebenso große Bedrohung wie die Zukunftsszenarien an sich gesehen, und dafür muss sie einen hohen Preis bezahlen“, sagt Hanneman.
Die Autobesitzer mit „F*ck you Greta“-Stickern können strafrechtlich nicht belangt werden, sagt Medienrechtsexperte Alfred Noll: „Natürlich sind solche Sticker derb und beleidigend. Es wäre aber sinnlos, wenn Greta Thunberg wegen Ehrenbeleidigung vor Gericht ziehen würde.“ Sie sei Person des öffentlichen Interesses und habe den Status einer Politikerin, auch wenn sie für ihre Tätigkeit nicht bezahlt wird. „Wer sich selbst in die Öffentlichkeit begibt, muss sich diese Form des politischen Protests, egal wie deppert, gefallen lassen. Das ist der Witz des politischen Meinungsstreits“, sagt Noll. Auch gegen den Handel mit Anti-Greta-Stickern spreche daher – zumindest rechtlich gesehen – nichts.
Karin Goritschnigg