Ins Herz des Sonnensystems zielt die Europäische Weltraumorganisation ESA mit ihrer "Solar Orbiter"-Mission. Näher zur Sonne ist Europa "noch nicht vorgedrungen", sagte der Grazer Weltraumforscher Wolfgang Baumjohann. Die rund 180 Kilogramm schwere Sonde soll am kommenden Montag vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral (USA) aus starten - österreichische Technik inklusive.
Ihren Ausgangspunkt nahm die ambitionierte Mission "Solar Orbiter" bereits um das Jahr 2000, so Baumjohann, der das Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) leitet. Schließlich war auch einiges an Technologieentwicklung notwendig, denn in Sonnennähe sind die Anforderungen an Material und Technik hoch. Wichtige Vorarbeiten wurden im Rahmen der 2018 gestarteten europäisch-japanische Mission "BepiColombo" zum sonnennächsten Planeten Merkur geleistet.
Die Mission
Ziel von "Solar Orbiter" ist es nun, in Kooperation mit der US-Raumfahrtbehörde NASA, das von den Sonneneruptionen mitbestimmte Weltraumwetter und die Auswirkungen des wechselhaften Partikelregens - respektive Sonnenwind - auch in Erdnähe besser zu verstehen. Um das in besserer bildlicher Auflösung zu beobachten, müsse man einfach "so weit wie möglich in die Nähe" unseres Zentralgestirns, so Baumjohann.
Im Fall des Orbiters werden bei der größten Annäherung lediglich 42 Mio. Kilometer zwischen Sonde und dem heißen Untersuchungsobjekt liegen. Zum Vergleich: Die Erde hält auf ihrem Weg um unser Zentralgestirn einen mittleren Abstand von 150 Mio. Kilometern ein. Die Sonde wird auf seiner Reise der bis zu 13-fachen Hitze ausgesetzt sein als Satelliten in der Umgebung der Erde.
Neben dem fotografischen Blick "muss man auch messen, was denn da herauskommt, im Zuge der Sonnenaktivität", die die Heliosphäre aufbaut. Diese das gesamte Sonnensystem umfassende gigantische Plasmablase aus geladenen Teilchen und dem Magnetfeld, "schützt uns letztendlich auch vor der kosmischen Strahlung". Wie stark dieser Schutz ist, ist abhängig von den Aktivitätsphasen der Sonne, die sich in etwa im Zeitraum von elf Jahren verändern. Baumjohann: "Da ist immer etwas los. Das ist ein sehr dynamisches Gebilde. Deshalb gibt es ja auch den Begriff Weltraumwetter."
Weltraumwetterstürme
Bestimmt wird dieses neben langfristigen Zyklen auch von kurzzeitigen Sonneneruptionen (Flares) und vor allem Massenauswürfen aus der Sonnenatmosphäre (Corona), bei denen sich Material der Sonne in Richtung Weltall verabschiedet. Letztere lösen auch auf der Erde Weltraumwetterstürme aus, die technische Systeme, wie Satelliten, mitunter stark beeinflussen können. Zwar lassen sich diese Ereignisse auch von der Erde und erdnahen Umlaufbahnen beobachten, "ist man aber näher dran, kann man das Plasma und das Magnetfeld direkt messen und das ist immer besser als nur auf ein Bild zu schauen", so Baumjohann.
Genau das soll der von Airbus Defence and Space im Auftrag der ESA gebaute "Solar Orbiter" leisten. Insgesamt enthält die Sonde zehn Messgeräte, die federführend von wissenschaftlichen Einrichtungen aus Großbritannien, Spanien, Belgien, Frankreich, Deutschland, der Schweiz, Italien und aus den USA beigesteuert wurden und betreut werden.
Österreichische Beteiligung
Aus Österreich ist vor allem das IWF stark in die Mission involviert. Es wurde mit der Antennenkalibrierung beauftragt, baute den Bordcomputer für das Radiowelleninstrument "Radio and Plasma Waves" (kurz RPW). Darüber hinaus ist ein Team um Baumjohann auch Co-Investigator beim Magnetometer (MAG). Im Fokus stehen Fragen zum stabileren Magnetfeld und zu den magnetischen Wellen und zu den Auswirkungen von Schwankungen auf das Sonnensystem. Die genauen Messungen "werden dabei helfen, zu verstehen, wie sich die Corona aufheizt und Energie im Sonnenwind transportiert wird", heißt es seitens der ESA.
Am federführend von Schweizer Forschern entwickelten "Spectrometer Imaging Telescope X-rays" (STIX) ist Astrid Veronig vom Institut für Physik der Universität Graz als Co-Investigator beteiligt. Das Teleskop soll Röntgenbilder der Sonne aufnehmen und damit die Frage klären, wie bei Sonneneruptionen geladene, hochenergetische Teilchen auf sehr hohe Geschwindigkeiten beschleunigt werden und sich im Weltraum ausbreiten. Veronig war für die wissenschaftliche Leitung der Softwareentwicklung für STIX verantwortlich.
Thermalisolation
Die Wiener Weltraumfirma RUAG Space zeichnet für die Thermalisolation des gesamten Satelliten verantwortlich. Mit einem Auftragsvolumen von rund zehn Millionen Euro ist dies einer der bisher größten Einzelaufträge für den laut eigenen Angaben größten Weltraumzulieferer Österreichs. Der Temperaturkontrolle kommt in Sonnennähe größte Bedeutung zu.
Materialen, die mit Temperaturen jenseits von minus 150 bis über 300 Grad zurechtkommen, sind an sich schon rar. Wenn es im Verlauf des Fluges, der 22 Mal um das Zentralgestirn führen soll, dann richtig heiß wird, schaut der Orbiter mit dem Hitzeschild in Richtung Sonne. Teile dieses Hitzeschilds kommen zwar von RUAG Space, für den Großteil der Konstruktion zeichnet aber der Rüstungs-und Raumfahrtkonzern Thales verantwortlich. Das gesamte Temperaturmanagement hinter dem Schild obliegt aber dem Team aus Wien, erklärte Projektleiter Wolfgang Pawlinetz der APA.
Die Isolation gegenüber der Kälte des Alls und der Hitze der Sonne besteht aus mehreren Lagen hauchdünner metallbedampfter Polyester- und Polyimidfolien, die in Berndorf (NÖ) hergestellt wurden. RUAG Space übernahm diesmal auch den Schutz der einzelnen Messinstrumente. "Damit diese Instrumente überhaupt funktionieren, müssen sie auf bestimmten Temperaturen gehalten werden. Bei manchen sind das etwa minus 70 Grad Celsius", sagte Pawlinetz. Die Systeme, die die Hitze ableiten, wurden für jedes Instrument eigens entwickelt und hergestellt. Insgesamt waren bis zu 30 Mitarbeiter in dem Projekt engagiert.
Reise dauert mindestens zehn Jahre
Seinen Start soll der "Solar Orbiter" am 10. Februar um 05.03 MEZ an Bord einer Atlas-V-Trägerrakete von der NASA-Weltraumbasis Cape Canaveral hinlegen. Trotz der frühen Stunde lädt das IWF in Grazzum gemeinschaftlichen Verfolgen des Starts. Die Reise selbst, die mehrere Vorbeiflugmanöver an Erde, Venus und Sonne beinhaltet, wird dann mindestens zehn Jahre dauern.
Durch geschickte Veränderung der Flugbahn und gezielte Beschleunigung wird die Sonde auch der rund 27-tägigen Rotation der Sonne um ihre eigene Achse für einige Zeit folgen können. Damit kann die gleiche Region über einen längeren Zeitraum hinweg analysiert werden. Ab dem Jahr 2025 soll die Sonde zudem jene Ebene verlassen, in der die Planeten die Sonne umkreisen. So kann der Orbiter die bisher kaum untersuchten Pole der Sonne aus einem Blickwinkel von rund 25 Grad unter die Lupe nehmen - auch das ist eine wissenschaftliche Premiere, wie Baumjohann erklärte.
In Graz beschäftigen sich bereits seit Jahren Forscher mit dem Sonnenwind. Allerdings vor allem mit jener "abgeflauten" Variante, die sich im erdnahen Raum registrieren lässt. Dementsprechend gespannt ist man am IWF auf die neuen Daten des "Solar Orbiters". Besonders spannend wird es in Bereichen jenseits der Merkur-Bahn. Nicht zuletzt verspricht man sich von diesen Messungen nämlich, die Vorgänge auf der Sonne etwa rund um die Ablösung der Materie aus der Sonnenatmosphäre grundlegend besser zu verstehen. "Es ist immer noch nicht klar, was dort wirklich passiert", so Baumjohann.