Wenn Harvey Weinstein am heutigen Montag das Oberste Gericht des Staates New York betreten wird, ist die Welt eine andere als 2017, als der Filmmogul zum Symbol sexueller Übergriffe geworden war. Zum Hassobjekt einer weltweiten Bewegung, die in der Zwischenzeit eine Lawine an Vorwürfen auch gegen unzählige weitere Menschen losgetreten hat.

Entscheidend beim Prozess des Jahres wird sein, ob der Fall, der die MeToo-Ära eingeläutet hat, auch vor einem Strafgericht besteht. Der Ausgang ist völlig offen. Bevor es richtig losgehen kann, müssen ab Montag aber erst noch die Geschworenen ausgewählt werden, was bei so einem schlagzeilenträchtigen Prozess einige Tage dauern kann.

Beim Prozess geht es nicht nur um Gerechtigkeit für Weinsteins mutmaßliche Opfer. Das Urteil, das am Ende steht, dürfte entweder Genugtuung oder Entsetzen bei Millionen Opfern von sexueller Gewalt auslösen. Für viele wird nicht nur über den Multi-Millionär Gericht gehalten, sondern über ein Muster männlichen Machtmissbrauchs.

Sexueller Machtmissbrauch

Und Weinstein gilt für viele als das krasseste Beispiel. Nun müssen die Staatsanwälte juristisch beweisen, dass der 67-Jährige sich der Vergewaltigung, krimineller sexueller Handlungen und räuberischer sexueller Übergriffe schuldig gemacht habe. Weinstein betonte immer wieder, jegliche Handlungen seien einvernehmlich gewesen.

Die Geschichte der Vorwürfe von Dutzenden Frauen gegen den Produzenten begann lange vor dem Dammbruch 2017, denn seine angeblichen sexuellen Übergriffe waren in Hollywood und in der Schauspielszene New Yorks jahrzehntelang ein offenes Geheimnis.

Sängerin Courtney Love antwortete 2005 auf die Frage einer Reporterin, was sie jungen Schauspielern in Hollywood rate: "Wenn Harvey Weinstein dich zu einer privaten Party ins "Four Seasons" einlädt, gehe nicht hin." Es dauerte trotzdem bis zum Oktober 2017, bis die "New York Times" und der "New Yorker" trotz aggressiver Klagsdrohungen über die Vorwürfe mehrerer Frauen berichteten.

Welle von Enthüllungen

Den später mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Artikeln folgte eine Welle neuer Enthüllungen. Dutzende Frauen - darunter bekannte Schauspielerinnen wie Angelina Jolie, Ashley Judd, Uma Thurman oder Salma Hayek - beschuldigten Weinstein, sie begrapscht, sich ihnen aufgedrängt und in einzelnen Fällen auch vergewaltigt zu haben. Weinstein gab Fehler zu, bestritt aber kriminelle Handlungen.

Die Vorwürfe ergaben ein Muster: Der schwerreiche Weinstein, der die Branche dominierte und mit Filmen wie "Pulp Fiction" Oscars einheimste, nutzte seine Macht und versprach jungen Frauen die große Karriere, um sie gefügig zu machen. Und wenn es doch Probleme gab, erkaufte er sich ihr Schweigen mit außergerichtlichen Einigungen.

"Metoo"

Als die Anschuldigungen ans Tageslicht kamen, erkannten viele Frauen und auch einige Männer überall auf der Welt ihre eigenen Geschichten in denen der Weinstein-Opfer wieder. Sie begannen, sie unter dem Schlagwort "Metoo" ("ich auch") zu sammeln. Das Spektrum reichte von blöden Sprüchen, unflätigem Verhalten bis hin zu jahrelanger Gewalt. Ein Jahr später gab es insgesamt 19 Millionen Tweets mit dem mittlerweile weltbekannten Hashtag. Die entfesselten Geschichten brachten vor allem in den USA eine Reihe von mächtigen Männern zu Fall, die "New York Times" zählte vergangenen Herbst 201 Fälle, darunter Komiker Louis C.K. und Oscar-Preisträger Kevin Spacey.

Harvey Weinstein unterdessen freut sich auf seinen Prozess, um sich von den Vorwürfen reinwaschen zu können, wie seine Anwältin Donna Rotunno kürzlich sagte. Sie kündigte eine aggressive Verteidigung für ihren Mandanten an: "Nur, weil jemand etwas behauptet, macht es das noch nicht wahr". Daniel Richman, Jus-Professor an der Columbia Universität in New York, sagt unterdessen, dass es für das Weinstein-Lager darauf ankommt, Zweifel zu säen: "Generell sieht man in Fällen wie diesen, Versuche, die Erinnerung von Zeugen anzugreifen oder nahezulegen, dass sie ein Motiv haben, sich Dinge auszudenken."

"Das Ziel der Anklage wäre, zu zeigen, dass diese Frauen glaubhaft von Dingen berichten, die passiert sind, obwohl Erinnerungen verschwommen sein können", so Richman weiter. Auch müsse erklärt werden, warum die Frauen nicht früher mit ihren Vorwürfen an die Öffentlichkeit gegangen seien. Eine weitere große Rolle im Prozess dürfte der Gesundheitszustand des 67-jährigen Weinstein spielen. Zuletzt kam er nach einem Autounfall mit Gehhilfe zu den Anhörungen.

Jury entscheidet

Der Schlüssel für beide Seiten ist, die Jury für sich zu gewinnen. Sie allein entscheidet über Schuld oder Unschuld Weinsteins. "Alles ist möglich. Das heißt, die Geschworenen - wenn sie erst einmal ausgewählt sind - sind Menschen (...)", sagt Experte Richman. Falls Weinstein schuldig gesprochen wird, kann er Berufung einlegen.

Doch wie auch immer der Prozess ausgeht: Weinstein hat bereits viel verloren. Seine Filmproduktionsfirma existiert nicht mehr, sein Ruf in der Branche ist genauso zerstört wie seine ehemalige Machtposition. Es scheint selbst bei einem Freispruch ausgeschlossen, dass er je wieder an seine beruflichen Erfolge anknüpfen kann.

Einen ganz eigenen Blick auf seinen Fall offenbarte Harvey Weinstein unterdessen vor einigen Tagen in einem Interview mit der "New York Post". Er beklagte, er fühle sich wie "der vergessene Mann" und forderte mehr Anerkennung für seine Verdienste für Frauen: "Ich habe mehr Filme produziert, die von Frauen gedreht wurden und die von Frauen handelten, als jeder andere." Die Welle der Empörung folgte prompt.