Da steht sie. Noch. Aus der Zeit gefallen – als mittlerweile zumeist stummer Zeuge einer Ära, in der Kommunikation (und wohl auch die Welt allgemein) noch anders funktionierten: Die Telefonzelle. Ein Anachronismus, ein Wink aus der Vergangenheit, dem man seine angesammelten Jahre ansieht.
In Österreichs Nachbarland Schweiz schlug der "Delifoonkabine" dieser Tage das letzte Stündlein: Kein Anschluss mehr unter dieser Zelle seit 28. November 2019. Aufgehängt für immer. Es ist die Chronik eines angekündigten Ablebens, die nun in ihr finales Kapitel ging: Möglich wurde die Demontage aller eidgenössischen Telefonkabinen durch ein entsprechendes Vorgehen des Bundes Anfang des vergangenen Jahres. Seither war die Swisscom nicht mehr verpflichtet, diese weiterzubetreiben. Seitdem wurde fleißig "abgeräumt", wie es die Schweizer markig nennen.
Nutzung um 95 Prozent eingebrochen
"Als die Verpflichtung, in jeder Gemeinde wenigstens ein 'Publifon' zu betreiben, per 1. Januar 2018 aus der Grundversorgung fiel, war der Entscheid schnell gefällt", erläutert Swisscom-Sprecherin Esther Hüsler auf Anfrage. Schweizweit gab es zuletzt mehr als 1000 Kabinen, die über Tage hinweg unbenutzt blieben. Insgesamt ging die "Publifon"-Nutzung von 2004 bis 2016 um 95 Prozent zurück.
Sigrid Bachinger, Sprecherin der A1 Telekom, gibt im Interview einen Überblick über die Situation in Österreich: "A1 betreibt in Österreich noch rund 11.000 öffentliche Sprechstellen. Davon sind etwa 10.300 Telefonzellen – die anderen befinden sich meist innerhalb von Gebäuden, etwa in Einkaufszentren oder Krankenhäusern." Umsatzzahlen nennt man nicht.
Wie sehr zunächst das Handy und später das Smartphone die Telefonzelle ins Seitenaus bugsierten, wird klar, wenn man sich den Schwund der öffentlichen Kommunikationsinseln mit ihrem recht ungeniertem Hunger auf Münzen oder Karten anschaut. Von einem endgültigen Ende der Telefonzellen ist in Österreich zwar noch keine Rede, aber: Vor 20 Jahren gab es hierzulande noch doppelt so viele Geräte wie heute. 1995 betrieb die Swisscom-Vorgängerin PTT in der Schweiz noch 58.112 Telefonanschlüsse, die gegen Bezahlung allen zur Verfügung stehen. Dann, ja dann, setzte freilich die Mobilfunk-Ära so richtig ein: Zeitenwende.
In Österreich sieht die "Universaldienstverordnung" (UDV) vor, dass in jeder Gemeinde zumindest noch eine öffentliche Sprechstelle bestehen muss. Zwischen 1500 und 3000 Einwohnern sind mindestens zwei öffentliche Sprechstellen vorgesehen – und für alle weiteren 3000 Einwohner eine zusätzliche. Vermeiden wollte man damit einst einen Kahlschlag bei der bei der öffentlichen Versorgung. Eine Randnotiz: Damit nicht zu viele Bakterien in den ohnehin häufig mäßig einladenden Kabinen Anschluss finden, übernimmt die Firma "Netzwerk" ihre Reinigung: Das gemeinnützige Non-Profit-Unternehmen beschäftigt Menschen, die am Arbeitsmarkt kaum Chancen auf Beschäftigung finden.
Allein: Braucht die Telefonzelle noch jemand? Gehen wir nicht schon alle längst völlig achtlos an ihnen vorbei? "Der Bericht über meinen Tod wurde stark übertrieben", sagte Mark Twain einst – ob es in 15 Jahren noch Telehäuschen geben wird, steht auf einem anderen Blatt, denn: Hierzulande lag die "Handy-Penetration" laut Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR) 2018 bereits bei 150 Prozent: Gemeint ist damit die Zahl der SIM-Karten, die in einem Land durchschnittlich von einer Person in Gebrauch sind – 1,5 sind es demnach derzeit.
Wer ist also weiter auf Telefonzellen angewiesen? "Nutzer sind hauptsächlich Jugendliche, Handybesitzer mit leerem oder defektem Akku, Menschen mit geringem Einkommen und sehr oft Touristen", sagt Bachinger. Zudem werden manche Zellen als Stromtankstellen genutzt: "Seit Mai 2010 hat A1 in ganz Österreich knapp 40 Ladestationen für E-Fahrzeuge errichtet" – jüngst am Stubenring in Wien etwa. Aus anderen Standorten wurden "Paket-Stationen", wie man sie von Tankstellen kennt. Wichtige Etappen vergangener Jahrzehnte waren die Einführung von Telefonwertkarten und Kreditkartentelefonen (ersparte es einem, Münzen im Halbkilobereich dabei zu haben) und Internetanschlüsse in den Telefonzellen. Den Niedergang konnte dies nur verlangsamen.
Was aber passiert in Österreich mit ausrangierten Kabinen, in denen einst alles, aber wirklich alles, besprochen wurde – bis womöglich ebenso Gesprächsbedürftige eindeutig gestikulierend an die Scheibe klopften? "Für nicht mehr benötigte Telefonzellen gibt es zuweilen ein 'zweites Leben', etwa in Form einer 'Bücherzelle', die Gemeinden übergeben werden. Auch Kulturprojekten stellen wir nicht mehr benötigte Telefonzellen zur Verfügung", so Bachinger. Im Schweizer Kanton Tessin wurden Defibrillatoren in den Kabinen angebracht. In Österreich wurde heuer in Bad Schallerbach (OÖ) die erste Notruf-Telefonzelle mit "Defi"-Modul präsentiert.
Allerletztes "Publifon" abgebaut
"Adieu!" hieß es aber nun in der Schweiz: In Baden im Kanton Aargau wurde am Donnerstag das allerletzte "Publifon" (Nummer: 056 222 28 99) abgebaut und in das Berner Museum für Kommunikation gebracht. In Basel war die Demontage des "Barfi"-Telefonhäuschens am Barfüsserplatz bereits im August zum gesellschaftlichen Ereignis geraten. Jeder kennt die Kultkabine als Treffpunkt, so manch eine(r) begegnete dort gar der Liebe seines Lebens.
Jene, die keinen "19er" mehr am Beginn ihres Geburtsjahres tragen, haben in ihrem Leben vermutlich nie eine Telefonzelle benutzt. Noch später geborene Generationen werden einmal vor museal ausgestellten Telefonkabinen stehen, sich am Kopf kratzen – und glauben, sie haben eine vorsintflutliche Raumkapsel vor sich, bei der man das Ziel über Zifferntasten eingeben muss. Oder eine Zeitmaschine, deren Zeit irgendwann selbst abgelaufen ist?
Wann war Ihr letztes Mal? Womöglich gehen Sie ja – so Sie noch eine finden – an einer Telefonzelle vorbei und sagen ihr zum heraufziehenden Abschied leise/gebührenfrei Servus.