Wegen einer neuen Schlechtwetterfront verbunden mit starkem Schirokko-Wind hat Venedig erneut einen kritischen Tag erlebt. Nach den schweren Überschwemmungen in der Nacht auf Mittwoch kletterte das Hochwasser am Freitag auf 1,54 Meter über dem Meeresspiegel und sank danach allmählich ab. Der Markusplatz wurde aus Sicherheitsgründen geschlossen. 70 Prozent der Innenstadt waren überschwemmt.
Der öffentliche Wasserverkehr auf dem Canal Grande wurde eingestellt. Schulen waren genauso wie die Universität und mehrere Museen geschlossen. Bürger wurden angesichts der schwierigen Wetterlage aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Im Raum Giudecca wurden dazu aufgerufen, wegen des starken Windes auf Bäume zu achten, die umstürzen könnten.
"20 Zentimeter mehr Hochwasser haben den Unterschied gemacht und Venedig zerstört. Ich hoffe, dass uns der Heilige Markus (Schutzpatron Venedigs, Anm.) schützt. Wir haben öfters schon Hochwasser erlebt, doch diesmal ist es anders", sagte Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro im Interview mit dem TV-Sender "Canale 5".
Notstand verhängt
Der Stadtchef sprach von Schäden in der Größenordnung von einer Milliarde Euro. Die italienische Regierung hatte am Donnerstag wegen der Überschwemmungen den Notstand in Venedig verhängt und angekündigt, 20 Millionen Euro "für die dringendsten Maßnahmen" in der Lagunenstadt bereitzustellen.
Der Bürgermeister besuchte in Begleitung des italienischen Kulturministers Dario Franceschini die Markusbasilika. Diese habe zwar schwere Schäden erlitten, da die Krypta überflutet worden sei, doch die Schäden könnten wieder behoben werden, sagte der Minister. "Die Schäden an Venedigs Kunsterbe sind enorm. Ein Rieseneinsatz seitens des italienischen Staates und der gesamten italienischen Gemeinschaft ist notwendig, damit die Stadt neu starten kann. Diese Unwetter haben Tausende Menschen und Betriebe beschädigt", meinte der Kulturminister.
In der Nacht auf Mittwoch war das Wasser in Venedig auf den höchsten Stand seit mehr als 50 Jahren gestiegen. Es erreichte einen Pegel von 1,87 Meter, so dass rund 80 Prozent der Stadt - darunter der Markusplatz - unter Wasser standen. Nur einmal seit Beginn der Aufzeichnungen hatte es ein schlimmeres Hochwasser gegeben: 1966 lag der Pegel bei 1,94 Metern.
"MOSE" soll helfen
Der Chef der oppositionellen rechten Lega und Ex-Innenminister, Matteo Salvini, besuchte am Freitag Venedig und rief die Regierung in Rom auf, so schnell wie möglich das umstrittene Flutschutzsystem "MOSE" zur Verhinderung von Hochwasser fertigzubauen. "Venedig schreit um Hilfe, 'MOSE' muss endlich fertiggebaut werden", forderte Salvini, der vor der Schließung des Markusplatzes mit Gummistiefeln über den überschwemmten Platz watete.
400 Millionen Euro sind laut der italienischen Infrastrukturministerin Paola De Micheli notwendig, um ein Jahrhundert-Projekt aus Barrieren, die sich bei Hochwasser automatisch aufrichten und bei den drei Laguneneingängen das Meerwasser am Eindringen hindern sollen, bis Ende 2021 fertig zu bauen. 2014 hatten ein riesiger Korruptionsskandal, der in der Festnahme des damaligen Bürgermeisters Giorgio Orsoni resultierte, sowie Finanzierungsengpässe den Fertigbau des 5,5 Milliarden Euro teuren Hochwasserschutzes gestoppt.
In Italien begannen unterdessen Spendensammlungen zur Behebung der Schäden. Die italienischen Botschaften und Konsulate im Ausland werden Initiativen zur Unterstützung der Lagunenstadt starten, kündigte Außenminister Luigi Di Maio an. Italiens viermaliger Premier Silvio Berlusconi rief die großen Staaten der Welt auf, Venedig mit Spenden finanziell zu unterstützen. Scala-Intendant Alexander Pereira plant am 29. November ein Benefiz-Konzert im Mailänder Opernhaus. Die Einnahmen sollen zur Unterstützung des Opernhauses La Fenice in Venedig dienen, das bei den Überschwemmungen am Dienstag Schäden erlitten hat.
Nicht nur Venedig leidet unter dem Unwetter. Auch in der 50 Kilometer von Venedig entfernten Kleinstadt Chioggia kam es zu Überschwemmungen. In mehreren Gemeinden der Dolomiten-Provinz Belluno blieben Schulen wegen Schneegefahr geschlossen. Zudem wurden einige Alpenpässe gesperrt. Eine Lageentspannung steht nicht unmittelbar bevor: Wetterexperten warnten, dass ganz Italien am kommenden Wochenende mit einer Schlechtwetterfront mit starken Stürmen und Niederschlägen konfrontiert werde.