Das tödliche Drama um die Sonnentemplersekte in der Schweiz und Kanada hat vor 25 Jahren die Welt schockiert. Gruppen mit sektenähnlichen Elementen florieren bis heute. Selbst Prominente tappen in die Falle. Horror offenbart sich Polizei und Feuerwehr erst hinter einer Geheimtür im Untergeschoß des brennenden Bauernhofs: am 5. Oktober 1994 finden sie in Cheiry 23 Leichen in einer Blutlache.

Dass sie Opfer eines mörderischen Rituals sind, ist sofort klar. Die Kinder, Frauen und Männern tragen mit Symbolen versehene Kutten und liegen sternförmig auf dem Boden. Sie gehörten zur Sonnentempler-Sekte, wie aus einem Abschiedsbrief hervorgeht. "Wir verlassen diese Erde ohne Bedauern, um in ganzer Klarheit und Freiheit eine Dimension der Wahrheit und des Absoluten zu finden."

Das Entsetzen geht noch weiter: kurze Zeit später werden auch in drei brennenden Häusern im Kanton Wallis 25 Sonnentempler tot gefunden, und kurz darauf in Morin Heights in Kanada weitere fünf. Die meisten hatten Schusswunden. Die Brände waren per Zeitzünder ausgelöst worden. War es Mord oder Selbstmord? Die Frage wird nie geklärt.

Immer wieder Gehirnwäsche 

Sektenführer Joseph Di Mambro, einer der Toten, hatte seine Anhänger einer Gehirnwäsche unterzogen. Sie glaubten, dass dieses Sterben kurz vor einem vermeintlichen Weltuntergang der einzige Weg zur Rettung auf den Planeten Sirius war. Nach zwei weiteren Massakern mit 21 Toten 1995 und 1997 war der apokalyptische Geheimbund ausgelöscht.

Warum gerade in der Schweiz? Das Alpenland sei ein "Hotspot für die weltanschauliche Szene", sagt Religionswissenschaftler Georg Otto Schmid von der Evangelischen Informationsstelle zu Kirchen, Sekten, Religionen (relinfo). "In einem liberalen System ist es erlaubt, Unsinn zu glauben." Allein in der Deutschschweiz gebe es nach Schätzungen etwa 100.000 Anhänger von Gruppierungen mit sektenhaften Zügen.

Selbst Prominente tappen in die Falle, wie Michelle Hunziker (42), die mit Thomas Gottschalk einst die Show "Wetten, dass...?" moderierte. In ihrer Biografie berichtete die Schweizerin, wie sie als 20-Jährige in die Fänge einer Geistheilerin geriet. "Ich suchte nach Liebe", schrieb sie. "Dafür opferte ich mein Urteilsvermögen und meinen freien Willen." Die "Krieger des Lichts" hätten ein Leben ohne Zucker, Fleisch, Alkohol, Koffein und Sex vorgeschrieben und Lebensfreude als Ablenkung auf dem Weg zur Erleuchtung betrachtet. Erst nach fünf Jahren sei sie aufgewacht und habe sich lösen können.

Lebenskrise

Statt Sekten mit streng hierarchischen Strukturen wie bei den Sonnentemplern florierten heute viele teils sehr kleine Gruppierungen "mit sektenähnlichen Elementen", sagt Schmid. "Solche Elemente sind etwa problematische Erziehungstipps wie körperliche Züchtigungen oder die Ablehnung herkömmlicher Medizin oder das Gebot, nur untereinander zu heiraten." Dazu zählten auch eine Abschottung nach außen und die Ächtung von Abtrünnigen.

Auch in Deutschland sind Heilsversprechen und Hoffnung auf ein besseres oder ewiges Leben "in". Es sei eine deutliche Zerfaserung des esoterischen Angebots festzustellen, sagt der Theologe Christoph Grotepass von der Beratungsstelle Sekteninfo NRW in Essen: "In einer persönlichen Lebenskrise versuchen viele Menschen, im Supermarkt der Lebenshilfe Lösungen zu kaufen." Auch die allgemeine Verunsicherung in einer komplex werdenden Welt treibe Menschen auf der Suche nach einer Antwort auf alle Lebensfragen in fundamentalistischen Gruppen.

Oft beginne es mit einem Seminar mit esoterischen Glücksverheißungen, aber manche Menschen gerieten darüber in eine finanzielle oder seelische Abhängigkeit. "Die Gefahren werden unterschätzt", sagte er. Schmid sieht einen besorgniserregenden Trend in einem wachsenden Glauben an Verschwörungstheorien. Er spricht von "brauner Esoterik": Migranten oder Juden würden verunglimpft, das völkische Element sei stark ausgeprägt. In dem Bereich gebe es auch Gruppen mit sektenhaften Elementen, etwa neugermanische Gemeinschaften, die nordische Gottheiten preisen und unter sich bleiben wollten.