Herr Podesser, wie außergewöhnlich sind die aktuellen Brände im Amazonas?
Alexander Podesser: Da muss ich ausholen: Dass es Brände im Amazonaswald während der Trockenzeit (August bis November, Anmerkung) gibt, ist üblich – das gab es auch in der Vergangenheit. Diese entstehen vorwiegend durch Blitzschlag. In den letzten beiden Jahrzehnten waren die Trockenperioden aber besonders stark ausgeprägt, was mit Änderungen der großräumigen Zirkulation zu tun hat. Das wiederum hängt mit dem El Niño-Phänomen und dem Klimawandel zusammen. Die jetzigen Brände entstehen vor allem durch Brandrodung. Seit 1970 fielen 20 Prozent des Amazonas der Agrar- bzw. Holzindustrie zum Opfer.

Wie gravierend in die CO2-Entwicklung durch die Feuer?
Podesser: Durch die Feuer gelangt langfristig in den Pflanzen gespeichertes CO2 in die Atmosphäre. Langfristig gesehen hängt alles davon ab, ob es in Brasilien, welches den mit Abstand größten Regenwaldanteil hat, den politischen Willen gibt, diesen Wald zu erhalten. Das große Problem ist, dass die Böden im Amazonas extrem nährstoffarm sind, die meisten Nährstoffe sind in den Pflanzen und Bäumen selbst gespeichert. Ist der Wald einmal weg, und es handelt sich um den letzten großen, zusammenhängenden Urwald auf der Erde, kann er nicht mehr aufgeforstet werden. Die Böden sind nach einigen Jahren intensiver Landwirtschaft allgemein so ausgelaugt, dass immer mehr Waldgebiete erschlossen werden. Dazu kommt noch die Zerstörung einer immensen Artenvielfalt, die es sonst nirgendwo in dieser Ausprägung gibt.

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Lassen sich die Brände realistisch betrachtet überhaupt flächendeckend eindämmen?
Podesser: Wenn durch absichtliche Brandrodung immer wieder neue Feuer entstehen, ist das schwierig. Für so riesige Gebiete ist Brandbekämpfung aus dem Flugzeug ein Tropfen auf dem heißen Stein. Fleisch-und Soja-Großgrundbesitzer nutzen die Dürre.
Warum sollte/muss uns Europäer die prekäre Situation interessieren?
Auch wir Österreicher importieren aus Südamerika – unter anderem 500.000 Tonnen Soja, natürlich auch gen-manipuliertes! Soja ist ein zentraler, billiger Bestandteil unseres Tierfutters bei Rind, Schwein und Geflügel. In einem Brief an das Wissenschaftsmagazin Science legten im April 2019 mehr als 600 Forscher dar, dass der Import von Fleisch aus Brasilien allein im Jahr 2011 zu einer Zerstörung von Wald im Umfang von 300 Fußballfeldern täglich geführt hat. In diesem Zusammenhang ist auch das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südamerika Mercosur zu sehen, wenn es keine Garantien für nachhaltige Produktion gibt.

Wie wertvoll ist der Regenwald wirklich?
Podesser: Der größte Urwald produziert 20 Prozent des weltweiten Sauerstoffs, veratmet aber wieder einen Großteil, sodass netto sechs Prozent bleiben. Der Amazonas ist mit 100 Milliarden Tonnen der größte CO2-Speicher der Erde. Gefahr droht durch den Klimakipppunkt: Laut Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung markiert dieser das Versagen, Kohlenstoff zu speichern: Durch Rückkoppelungseffekte könnte der Regenwald von einer Kohlenstoffsenke zu einer der größten Kohlenstoffquellen werden und die Klimakrise noch verstärken.



Gibt es ein anderes Gebiet auf der Erde, das annähernd den Stellenwert des Amazonas hat?
Podesser: Ja, die borealen Nadelwälder machen knapp ein Drittel der von Bäumen bedeckten Gebiete auf der Erde aus und speichern mindestens genau so viel Kohlenstoff wie tropische Regenwälder, und zwar nicht nur in den Bäumen, sondern auch in den Permafrostböden. Durch den Klimawandel haben sich aber gerade die subpolaren Gebiete stärker erwärmt als etwa die mittleren Breiten. Die Folgen der Trockenheit sind Dürre, Schädlingsbefall und Brände. Auch hier fürchtet man einen Kippeffekt wie im Amazonas.

Musste es so weit kommen?
Podesser: Letztlich hat der neue, populistische brasilianische Präsident mit extrem neoliberaler Ausprägung diese Situation begünstigt. Hingegen erreichte Brasilien unter seiner früheren Umweltministerin Marina de Silva durchaus beachtenswerte ökologische Standards.