"Wir warnen schon seit den 90er-Jahren“, erklärt Sibyll Schaphoff vom Potsdam-Institut für Klimaforschung. Diese Warnungen beziehen sich auf im Boden gespeicherten Kohlenstoff, Pflanzenreste, die seit Jahrtausenden im Eis des Permafrosts eingeschlossen waren. Bis jetzt. Denn mit den steigenden Temperaturen tauen auch die eisigen Ebenen Sibiriens oder Alaskas immer mehr auf. Dann werden Mikroben in den Böden aktiv und beginnen mit der Zersetzung dieser seit Jahrtausenden tiefgefrorenen Pflanzenreste, was wiederum Treibhausgase freisetzt, vor allem auch das starke Treibhausgas Methan.
Von den rund 149 Millionen Quadratkilometer Landfläche auf unserem Planeten sind etwa 23 Millionen Quadratkilometer permanent gefroren. Aber mehr als 50 Prozent des gesamten terrestrischen Bodenkohlenstoffs sind in diesen Böden eingelagert, sagt Schaphoff. Das sind 1300 bis 1600 Gigatonnen Kohlenstoff, ungefähr doppelt so viel wie in der Erdatmosphäre. Der Beschleunigungseffekt, der durch die emittierten Treibhausgase in den Permafrost-Regionen entsteht, ist beträchtlich: In den betroffenen Gebieten schreitet die Klimaerwärmung doppelt so schnell voran wie im Durchschnitt.
Der Tauvorgang lässt sich ab einem gewissen Erwärmungsgrad nicht mehr stoppen, deswegen gelten die Eis- und Dauerfrostgebiete als sogenannte Kippelemente im Erdsystem. Die Methankonzentration der Atmosphäre nimmt seit gut zehn Jahren wieder zu. Laut Schaphoff stammen 40 Prozent aus natürlichen Quellen, 60 Prozent sind von Menschen verursacht.
Abwärtsspirale
Die zunehmende Trockenheit begünstigt auch in arktischen Breiten Waldbrände, die wiederum das Tauen beschleunigen. Abgesehen von der direkten Hitzeentwicklung lässt auch die Asche Schnee und Eis schmelzen. Das bedeutet, dass es immer weniger weiße Flächen gibt, die das Sonnenlicht reflektieren.
Die globalen Auswirkungen sind noch schwer abschätzbar. Unmittelbarer sind die Folgen für Bewohner Sibiriens, wo ganze Städte auf tauendem Permafrost errichtet sind und langsam im Boden versinken. Ein Beispiel für Komplikationen ist das sibirische Atomkraftwerk Bilibino, das ebenfalls auf immer weicherem Untergrund steht. Russland baut dort kein Kraftwerk mehr. Der Strom für die Region soll künftig aus dem ersten schwimmenden AKW der Welt kommen, der Akademik Lomonossow. Während das Schiff in Russland als unsinkbar bezeichnet wird, warnen Kritiker bereits vor einem „schwimmenden Tschernobyl“.
Sibyll Schaphoff und ihre Kollegen forschen und warnen indes weiter. Für September ist eine neue Studie des Weltklimarates zum Zustand der Permafrostböden angekündigt. Verbesserungen erwartet Schaphoff nicht.
Matthias Reif