Nach zwei Abstürzen und Flugverboten fährt der US-Luftfahrtriese Boeing die Produktion seiner Baureihe 737 Max herunter. Die monatliche Fertigungsrate werde ab Mitte April um fast ein Fünftel von 52 auf 42 Maschinen gedrosselt, teilte das Unternehmen am Freitag mit.
Nach den Unglücken zweier baugleiche Maschinen vom Typ 737 Max 8 waren in Indonesien und Äthiopien, bei denen insgesamt 346 Menschen ums Leben kamen, waren weltweit Startverbote für die Boeing-Serie erlassen worden. Die Flugzeuge können derzeit nicht ausgeliefert werden und es drohen Stornierungen.
Produktionskürzung vorübergehende Maßnahme
Konzernchef Dennis Muilenburg bezeichnete die Produktionskürzung als vorübergehende Maßnahme. Wegen der noch nicht abschließend geklärten Unfallursachen und Problemen mit einer Steuerungssoftware ist momentan unklar, wann die 737-Max-Maschinen von den Aufsichtsbehörden wieder in die Luft gelassen werden.
Zuletzt gab es noch rund 5000 Bestellungen für die 737 Max. Bis zum Sommer sollte die Produktion eigentlich auf 57 Maschinen pro Monat klettern. Boeing ist bei der Neuauflage des Erfolgsmodells 737 in wachsender Erklärungsnot: Der ohnehin schon massiv in der Kritik stehende US-Flugzeugbauer hat unlängst ein weiteres Softwareproblem identifiziert. Zwar beteuert Boeing, dass es sich um keine größere Sache handle. Doch das Vertrauen in den Konzern ist ohnehin schon stark beschädigt. Eine rasche Lösung scheint zumindest nicht in Sicht.
Softwareproblem verschärft Boeing-Krise
Mitten in die Nachlese des ersten Ermittlungsberichts zum Absturz in Äthiopien platzte Boeing mit der Nachricht, ein neues Softwareproblem gefunden zu haben. Dieses sei bei der Überarbeitung des umstrittenen Steuerungsprogramms MCAS festgestellt worden, stünde aber nicht in direktem Zusammenhang damit, teilte Boeing in der Nacht auf Freitag mit. Zuvor hatte die "Washington Post" berichtet, dass die US-Luftfahrtbehörde FAA das neue Problem beanstandet habe. Solange es nicht gelöst sei, werde das 737-Max-Flugverbot nicht aufgehoben.
Die Zeitung schrieb unter Berufung auf zwei mit der FAA-Untersuchung vertraute Quellen, dass das Problem als entscheidend für die Flugsicherheit eingestuft werde. Boeing bezeichnete es hingegen als "relativ geringfügige Angelegenheit", die zusammen mit dem MCAS-Update adressiert werde. "Wir haben bereits eine Lösung dafür in Arbeit", hieß es in der Stellungnahme des Konzerns. In den "kommenden Wochen" werde das Update soweit sein, dass es der FAA zur Zertifizierung vorgelegt werden könnte. Boeing verfolge einen "umfassenden, disziplinierten Ansatz, um es richtig zu machen".
Vorstandschef Dennis Muilenburg hatte kurz zuvor so deutlich wie noch nie Probleme mit der Steuerungssoftware MCAS eingeräumt. Es scheine nach dem vorläufigen Ermittlungsbericht zum Absturz in Äthiopien, als ob das Programm durch falsche Sensordaten unnötigerweise eingeschaltet worden sei, teilte Muilenburg am Donnerstag mit. Damit wird die Theorie, dass ein Softwarefehler die Maschine Richtung Boden lenkte, erstmals quasi von oberster Konzernstelle gestützt.
Das dringend erwartete MCAS-Update werde sicherstellen, dass Unfälle wie in Äthiopien und Indonesien "nie wieder passieren", versicherte Boeing-Chef Muilenburg. Bisher hatte der Flugzeughersteller stets bestritten, dass die MCAS-Software ein Sicherheitsrisiko darstellt. Kurz vor Muilenburgs Stellungnahme hatte der Konzern aber bereits angekündigt, dass Piloten künftig immer die Möglichkeit haben werden, die Automatik auszuschalten und zur manuellen Kontrolle zu wechseln.
Das eigens für die spritsparende Max-Neuauflage von Boeings 737-Serie entwickelte MCAS-Programm soll eigentlich dafür sorgen, in bestimmten Flugsituationen - etwa bei einem zu steilen Aufstieg der Maschine - automatisch den Flugwinkel zu korrigieren. Doch die bisherigen, vorläufigen Unfallberichte deuten darauf hin, dass das System bei den Abstürzen durch Einspeisung falscher Sensordaten irrtümlicherweise automatisch angesprungen ist - mit fatalen Folgen.
Beim Crash der Lion-Air-Maschine in Indonesien Ende Oktober soll der Bordcomputer die Nase der Boeing 737 Max 8 wegen der MCAS-Fehlfunktion automatisch immer wieder nach unten gedrückt haben, während die Crew gegenzusteuern versuchte. Ein ähnliches Szenario gilt inzwischen auch beim Ethiopian-Airlines-Absturz am 10. März als wahrscheinlich. Insgesamt starben bei den Unglücken 346 Menschen. Trotz der bisherigen Beteuerungen, MCAS sei sicher, arbeitet Boeing schon seit dem Crash in Indonesien an einem umfassenden Update.
Vergangene Woche hatte der Hersteller die geplanten Neuerungen, mit denen die FAA dazu bewegt werden soll, die 737-Max-Serie wieder als flugtüchtig einzustufen, vor mehr als 200 Piloten, Technikern und Regulierern in seinem Werk in Renton im US-Bundesstaat Washington präsentiert. Über das Software-Update hinaus versprach Boeing weitere Alarmfunktionen im Cockpit und zusätzliches Training für Flugcrews. Dem Konzern war zuvor vorgeworfen worden, Airlines und Piloten nicht ausreichend über das MCAS-Programm informiert zu haben.
Boeing und die FAA stehen wegen der Zulassung der 737-Max-Baureihe, wegen der in den USA bereits das Verkehrsministerium ermittelt, stark in der Kritik. Die Luftfahrtbehörde wird verdächtigt, bei der Zertifizierung ein Auge zugedrückt zu haben und Boeing wurde schon beschuldigt, bei dem Prozess Informationen unterschlagen zu haben. Das Ganze könnte rechtlich noch ein Nachspiel haben, laut US-Medien ermitteln auch Justizministerium und FBI inzwischen in dem Fall.
Unterdessen lässt Boeing die Produktion der Krisen-Jets weiterlaufen - obwohl derzeit keine einzige Maschine ausgeliefert werden darf und Stornierungen drohen. Zuletzt gab es noch rund 5.000 Bestellungen für die 737 Max. Bis zum Sommer soll die Produktion eigentlich auf 57 Maschinen pro Monat klettern - was Boeing finanziell wie organisatorisch vor Herausforderungen stellen dürfte. "Wenn sie die Dinger sechs Monate lang nicht loswerden, haben sie irgendwann 300 oder noch mehr Flugzeuge herumstehen", sagte Experte Stephen Perry von der Investmentbank Janes Capital Partners.