Nach dem Brückeneinsturz in Genua hat Italiens Vize-Ministerpräsident Luigi di Maio mit einer Verstaatlichung der Autobahnen gedroht. Wenn die Betreiber der Autobahnen nicht in der Lage seien, ihre Aufgabe richtig zu erfüllen, dann müsse der Staat die Autobahnen übernehmen, sagte di Maio am Donnerstag im Rundfunk.

Die Betreiber der Autobahnen hätten mehr in die Sicherheit investieren sollen als sich über die Dividenden Gedanken zu machen, sagte di Maio. Die italienische Regierung machte bereits am Vortag den Autobahn-Betreiber für den Brückeneinsturz verantwortlich und will ihm die Lizenz entziehen. Das Unternehmen habe Milliarden Euro an Maut eingenommen, das Geld aber nicht wie vorgesehen eingesetzt, kritisierte Innenminister Matteo Salvini. Die Firma Autostrade wies den Vorwurf zurück. Die aus den 1960er-Jahren stammende Brücke sei gemäß den gesetzlichen Vorgaben alle drei Monate kontrolliert worden, erklärte das Unternehmen.

Anrainer obdachlos

Vieles deutet darauf hin, dass die Brücke abgerissen und eine neue errichtet werden soll. Die Tragödie hat Hunderte Menschen obdachlos gemacht: Sie mussten ihre Häuser nahe der Brücke aus Sicherheitsgründen verlassen - und das möglicherweise für immer. „Bis Ende dieses Jahres werden wir all diesen 634 in Sicherheit gebrachten Genuesen ein neues Zuhause geben“, versprach Salvini.

Ausnahmezustand verhängt

Nach dem Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua hat die italienische Regierung einen zwölfmonatigen Ausnahmezustand für die Hafenstadt verhängt. Bei einer Krisensitzung des Ministerrates am Mittwoch in Genua sei außerdem eine Soforthilfe von fünf Millionen Euro freigegeben worden, sagte Ministerpräsident Giuseppe Conte. Die Zahl der Todesopfer stieg auf mindestens 39.

Der Ministerpräsident will auch den Autobahnbetreiber Autostrade für den Einsturz in die Pflicht nehmen. Dieser sei für die Sicherheit der Brücke verantwortlich gewesen. Conte drohte mit dem Entzug seiner Lizenz und hohen Strafzahlungen. Die fünf Millionen Euro stammten aus einem nationalen Notfallfonds und seien die "erste Maßnahme der Regierung angesichts dieser Tragödie", sagte der Regierungschef. Auf die Verhängung des Ausnahmezustands habe zuvor der Präsident der Region gedrängt. Überdies rief Conte einen nationalen Trauertag aus. Der Termin stehe jedoch noch nicht fest, da der Trauertag mit den Beerdigungen der Opfer zusammenfallen solle. Die Stadt Genua setzte ihrerseits zwei Trauertage an.



Die Regierung gab am Mittwoch dem Autobahnbetreiber die Schuld an dem Unglück vom Vortag. "Die Verantwortlichen haben einen Namen und einen Vornamen und es sind Autostrade per l'Italia", sagte Vize-Ministerpräsident Luigi di Maio im italienischen Radio. Die Brücke sei eingestürzt, weil Wartungsarbeiten nicht erfolgt seien. "Es war kein Schicksal, es war menschliches Versagen", sagte auch der Staatsanwalt von Genua, Francesco Cozzi.

Aktie von Autostrade-Mutter stark gefallen

Nach dem Brückeneinsturz in Genua ist die Aktie der italienischen Infrastruktur-Gruppe Atlantia - Mutterkonzern des Autobahnbetreibers Autostrade per l'Italia - an der Börse in Mailand stark gefallen. Der Kurs sank um über 24 Prozent auf knapp 17,80 Euro. Die Papiere notierten damit so tief wie seit knapp vier Jahren nicht mehr.

Zuvor war die Aktie für knapp eine Stunde vom Handel ausgesetzt worden. Auch die Aktienkurse der Konkurrenten SIAS und ASTM gaben bis zu zehn Prozent nach.

Die italienische Regierung macht Autostrade für die Katastrophe mit 38 Toten verantwortlich und will ihm die Lizenz entziehen. Italiens Vize-Ministerpräsident Luigi di Maio drohte mit einer Verstaatlichung der Autobahnen. Autostrade wies den Vorwurf der Pflichtvernachlässigung zurück. Die Brücke sei vorschriftsmäßig "vierteljährlich" überprüft worden. Außerdem seien zusätzliche Tests mittels hochspezieller Geräte erfolgt.

Das Privatunternehmen gehört zum global operierenden Atlantia-Konzern, der auch in der Luftinfrastruktur aktiv ist und hinter dem die Benetton-Familie steht. Die Italiener hatten sich jüngst mit dem deutschen Bauriesen Hochtief verbündet, um den spanischen Mautautobahn-Betreiber Abertis zu übernehmen.

Salvini beschuldigt EU

Der rechtspopulistische Vizepremier Matteo Salvini machte freilich die EU als Schuldige für die Katastrophe aus. Die europäischen Budgetvorgaben würden die Sicherheit des Landes untergraben, sagte der Innenminister. "Immer muss man um Erlaubnis fragen, um Geld auszugeben", prangerte er an. Davon dürfe aber nicht die Sicherheit auf den Straßen, bei der Arbeit und in den Schulen, "in denen immer mal wieder die Decken einstürzen", abhängen.

EU-Kommission widerspricht Salvini

Die EU-Kommission hat die Vorwürfe der italienischen Regierung zurückgewiesen, nach denen Brüsseler Sparvorgaben für die marode Infrastruktur des Landes mitverantwortlich seien.

EU-Staaten könnten politische Prioritäten im Rahmen der geltenden Haushaltsregeln selbst festlegen - "zum Beispiel die Entwicklung und den Erhalt der Infrastruktur", sagte ein Sprecher am Mittwoch. Tatsächlich habe die EU Italien sogar dazu ermuntert, in die Infrastruktur zu investieren.

Innenminister Salvini hatte infolge des Brückeneinsturzes am Dienstag beklagt, die strengen europäischen Defizitregeln stünden der Sicherheit des Landes im Wege.

Verkehrs- und Infrastrukturminister Danilo Toninelli forderte die Führung von Autostrade per l'Italia zum Rücktritt auf. Außerdem prüfe die Regierung die Auflösung des Vertrags mit der Firma sowie die Forderung von Strafgeldern von bis zu 150 Millionen Euro, erklärte er im Online-Netzwerk Facebook. Zunächst werde die Konzession für die A10 überprüft und später alle übrigen, teilte das Ministerium mit. Ministerpräsident Conte bestätigte am Abend, dass die Regierung die Auflösung des Vertrags überprüfe.

Vorschriftsmäßig "vierteljährlich" überprüft

Autostrade per l'Italia wies die Vorwürfe zurück. Die Brücke sei vorschriftsmäßig "vierteljährlich" überprüft worden. Es seien zusätzliche Tests mittels hochspezieller Geräte erfolgt, erklärte die Unternehmensführung. Zudem seien in diesem Bereich weltweit anerkannte Institutionen beteiligt gewesen.

Ebenso wie Toninelli besuchte auch Di Maio am Mittwoch den Unglücksort. Ministerpräsident Conte hatte am Dienstagabend bei einem Besuch am Unglücksort eine Überprüfung der "gesamten Infrastruktur" im Land gefordert. An der Stabilität der Morandi-Brücke hatten Experten schon länger Zweifel geäußert.

Suche nach Vermissten

Im norditalienischen Genua haben Rettungskräfte die zweite Nacht in Folge mit Hochdruck nach Überlebenden des katastrophalen Brückeneinsturzes gesucht. Im Flutlicht aus riesigen Projektoren und mit Hilfe von Spürhunden suchten die Rettungsmannschaften in der Nacht auf Donnerstag ohne Unterlass unter den schweren Betonblöcken und Stahlteilen der eingestürzten Autobahnbrücke nach Verschütteten.

"Die Helfer haben natürlich noch die Hoffnung, einige Überlebende zu finden, aber je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger ist das", sagte der örtliche Polizeikommandeur Riccardo Sciuto der Nachrichtenagentur AFP.

Bis Mittwochabend wurde die Zahl der Toten mit 39 angegeben. 16 Menschen wurden verletzt, neun davon schweben in Lebensgefahr. Es gibt noch mehrere Vermisste. Unter den Toten sind drei Kinder im Alter zwischen acht und 13 Jahren sowie vier junge Franzosen, drei Chilenen und ein Kolumbianer.

Papst Franziskus drückte den Opfern und deren Angehörigen sein Mitgefühl aus. In seiner Predigt zu Mariä Himmelfahrt sprach er vor tausenden Gläubigen auf dem Petersplatz in Rom von einer "Tragödie".