Schon wieder erschüttert eine Schießerei auf offener Straße Schweden. Am Montagabend wurden sechs Männer vor einem Internetcafé im südschwedischen Malmö von bislang unbekannten Tätern angeschossen. Drei Personen im Altern von 19, 27 und 29 starben an den Verletzungen. Eine Person ist schwer verletzt, die anderen beiden leicht. „Sie sind Teil eines laufenden Bandenkonfliktes und sind in die grobe organisierte Kriminalität verwickelt“, sagte der Malmöer Polizeichef Stefan Sinteus am Dienstag.
Immer häufiger ist es in den letzen eineinhalb Jahren zu ähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Banden in Schwedens Großstädten Stockholm, Göteborg und Malmö gekommen. Oft waren die Beteiligten noch sehr jung. Alleine im Jahr 2017 gab es im Durschnitt gerechnet pro Tag eine Schießerei. Insgesamt starben dabei 40 Personen. 2018 ging das so weiter. Ein unschuldiger älterer Passant kam ums Leben, weil er eine anscheinend von Kriminellen liegengelassene Handgranate vom Boden vor einem U-Bahnhof in die Hand nahm. Sie explodierte. Auch gab es neben weiteren, teils am helllichten Tag stattfindenden Schießereien, immer wieder auch Bombenanschläge auf staatliche Einrichtungen, wie etwa im Januar auf eine Polizeistation im sozialschwachen Malmöer Einwandererstadtteil Rosengard.
Schweden erscheint vielen Bürgern bei weitem nicht mehr so sicher wie früher. Die Boulevardzeitungen des Landes schreiben stets sehr ausführlich darüber.
Wahlen stehen an
Im Herbst wird in Schweden ein neues Parlament gewählt. Die beiden Themen Sicherheit und Integration gehören zu den Wichtigsten, ergeben Umfragen und alle Parteien versuchen das etwa mit Forderungen nach mehr Polizisten und härteren Maßnahmen zu bedienen. Auch wenn er später zurückruderte, sorgte Ministerpräsident Stefan Löfven im Januar für Aufsehen, als er der der schwedischen Nachrichtenagentur tt sagte: „Es wäre nicht meine erste Maßnahme das Militär einzusetzen, aber ich bin bereit zu tun, was nötig ist, damit das organisierte Verbrechen verschwindet“. Der Chef der bürgerlichen Partei Moderaterna Ulf Kristersson sagte nach der aktuellen Schießerei: „Das muss ein Ende bekommen. Wir müssen Bandenkriminalität mit viel härteren Methoden bekämpfen“.
Laut schwedischen Kriminologen haben die vielen derzeitigen Schießereien jedoch vor allem damit zu tun, dass es ein Machtvakuum im organisierten Verbrechen gibt. In Ländern, in denen es keine Schießereien gibt, gebe es nicht weniger organisierte Kriminalität, sondern lediglich eine klare für äußerlichen Frieden sorgende Hierarchie an die sich alle halten. Dementsprechend könnte es sich um eine Übergangsphase handeln, bis die rivalisierenden Banden ihren jeweiligen Platz in der Unterwelt ausgemacht haben, wird vermutet. Andere glauben dahingegen, dass der Zuzug von Ausländern für die Situation verantwortlich ist.
Auch wenn aus politischer Korrektheit in Schweden offiziell keine Angaben dazu gemacht werden dürfen, betonen etwa die einwanderungskritischen Schwedendemokraten (SD) in der Debatte, dass in der Verbrechensstatistik und insbesondere bei Schießereien Personen mit Migrationshintergrund überproportional vertreten sind. Das sei die Konsequenz gescheiterter Integrationspolitik so SD-Chef Jimmy Akesson. Er will alle Verbrecher mit Migrationshintergrund abschieben. „Wir haben einen langen Weg vor uns, um die behütete Gesellschaft wiederzuerschaffen, die wir einmal hatten“, schrieb er kürzlich. Viele Wähler glauben ihm. Die SD kommt in der jüngsten Umfrage mit rund 21,9 Prozent sogar auf Platz zwei noch vor den konservativen Moderaterna und ist nur knapp zwei Prozent von den Sozialdemokraten entfernt. Dass die Integration teilweise gescheitert ist, geben aber auch andere Parteien zu. Während die Arbeitslosigkeit bei in Schweden geborenen Bürgen im April 2018 bei nur 3,8 Prozent lag, war sie bei im Ausland geborenen 20,7 Prozent. Besonders hoch war die Kriminalitätsrate etwa 2017 laut Polizei in insgesamt 61 sozialen Problemvierteln Schwedens (2015 waren es nur 53), die häufig über einen hohen Anteil von armen Personen mit Einwanderhintergrund verfügen. Dort sollen 5000 Kriminelle und 200 kriminelle Netzwerke basiert sein. In ausländischen Medien ist die Rede von „No Go Zonen“. Das ist jedoch deutlich übertrieben. Als normaler Passant wirken diese Gebiete nicht viel anders als andere in Schweden. Sie wirken viel gepflegter und friedlicher als ähnliche Gebiete in Deutschland oder Frankreich. Lediglich der Umstand, dass man keine blonden Schweden sieht, unterscheidet sie.
Gleichzeitig scheint vor allem das alarmierende Bild in den Medien und die weitgehenden Äußerungen von sozialdemokratischen, bürgerlichen und rechtspopulistischen Politkern im Wahlkampf die Bürger davon zu überzeugen, dass Schweden gefährlicher geworden ist. Denn alle blasen ins gleiche Horn.
„In der Statistik gibt es keine Belege dafür, dass die Kriminalitätsrate in Schweden angestiegen ist. Dass wir mehr Polizisten und härtere Gesetze brauchen, ist eine populistische Forderung ohne sachlichen Grund“, sagt etwa Kriminologieprofessor Henrik Tham von der Universität Stockholm gegenüber dieser Zeitung. Er kritisiert die Politiker scharf. „Das schwarze Bild, was dort im Wahlkampf gemalt wird, stimmt nicht mit der Entwicklung überein. In der Kriminalitätsrate sind vor allem die Internetbetrügereien deutlich angestiegen. Bei Mord und Todschlag und Misshandlungen ist die Kriminalitätsrate seit langem gleichbleibend oder sogar deutlich rückläufig. Einzelbeispiele wie Schießereien werden aufgebauscht und verfälschen das Gesamtbild. Schweden ist heute in vielen Bereichen viel sicherer als früher, ergeben unsere und andere Studien“, sagt er.
Keine Frage der Herkunft
Er hält es auch für fahrlässig, dass in der gegenwärtigen schwedischen Debatte oft Kriminalität und Einwanderung gleichgesetzt wird. „Alle wissenschaftlichen Studien zeigen, dass man nicht den ethnischen Ursprung von Menschen für erhöhte kriminelle Aktivitäten verantwortlich machen kann. Es hat mit dem sozialen Status und dem Ausbildungsgrad zu tun. Je ärmer und ungebildeter jemand ist, desto höher ist das Risiko kriminell zu werden“, betont Tham.
Zudem sind die Aufstiegschancen in Schweden für Arme weitaus besser als in den meisten anderen Ländern weltweit. Zwar wurde der schwedische Wohlfahrtstaat seit den Neunzigerjahren stark beschnitten. Dennoch gehört Schweden weiterhin weltweit zur absoluten Spitze, im Bezug auf Umverteilung und Chancengleichheit. So ist der soziale Status den ein Bürger in Deutschland erreichen kann bis zu 30 Prozent stärker abhängig vom Wohlstand der Eltern als in Schweden, laut einer Studie des Institutes für Weltwirtschaft in Kiel.