Schwere Körperverletzung: 14 Jahre Haft. Fünffache Vergewaltigung: 25 Jahre Haft. Geplanter Mord: fünf Jahre Haft. Totschlag: 15 Jahre Haft. Diese Strafen haben südafrikanische Richter seit vergangener Woche verhängt. Sie stehen in starkem Kontrast zum Strafmaß des Ex-Sportlers Oscar Pistorius, der wegen tödlicher Schüsse auf seine Freundin zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde.
Das Strafmaß unterschiedlicher Fälle zu vergleichen, ist immer schwierig, es ist ein bisschen wie Äpfel und Birnen zu vergleichen. Und doch zeigt sich, dass der Ex-Sprintstar glimpflich davongekommen ist. Die Staatsanwaltschaft hat sein Strafmaß als "schockierend milde" bezeichnet und ging daher nochmals in Berufung. Am Freitag wird der Fall vor dem obersten Berufungsgericht des Landes in Bloemfontein verhandelt. Der inhaftierte Pistorius selbst wird bei dem Termin nicht erwartet.
"Reuiger Ersttäter"
Pistorius wurde wegen Mordes verurteilt. Darauf stehen in Südafrika normalerweise mindestens 15 Jahre Haft. Richterin Thokozile Masipa führte jedoch mildernde Umstände an. "Er ist ein gefallener Held, er hat seine Karriere verloren, er ist finanziell ruiniert", sagte sie bei der Urteilsverkündung im Juli 2016. Er sei Ersttäter und habe Reue gezeigt, nun müsse er eine Chance haben, sich zu rehabilitieren.
Empörung über Urteil
Das Urteil sorgte in Südafrika für Empörung. Für viele war es ein Zeichen, dass wohlhabende Angehörige der weißen Minderheit vor Gericht immer noch besser behandelt werden als Schwarze. Die Frauenorganisation der Regierungspartei ANC kritisierte, das Urteil sende ein fatales Signal der Nachsicht gegenüber häuslicher Gewalt. Doch die schwarze Richterin Masipa wies die Empörung zurück: "Unsere Gerichte dienen dem Gesetz, nicht der öffentlichen Meinung."
Pistorius hatte seine Freundin Reeva Steenkamp, ein aufstrebendes Model, am Valentinstag 2013 in seinem Haus mit vier Schüssen durch eine Toilettentür getötet. Er beteuerte, einen Einbrecher hinter der Tür vermutet zu haben. Die Staatsanwaltschaft sagte dagegen, Pistorius habe Steenkamp im Streit erschossen. Eine Anwältin der Steenkamps hat die erneute Berufung begrüßt. Die Familie sei der Meinung, dass das geringe Strafmaß "nicht die richtige Botschaft an die Gesellschaft darstellt", sagte Tania Koen. Bis wann das Gericht in Bloemfontein zu einem Urteil kommen könnte, war zunächst unklar.
Beide Beine amputiert
Pistorius waren als Kind beide Beine unterhalb der Knie amputiert worden. Das hinderte den heute 30-Jährigen nicht an einer beeindruckenden Sportkarriere: Bei Paralympischen Spielen gewann der Sprinter auf eigens angefertigten Karbon-Prothesen insgesamt sechs Goldmedaillen. Doch sein Ziel waren die Olympischen Spiele. In London startete er 2012 als erster beinamputierter Sportler der Olympia-Geschichte. Pistorius galt in Südafrika damals als Nationalheld - bis zu den verhängnisvollen Schüssen im Februar 2013.
Seither beschäftigt der Fall Südafrikas Gerichte. Fast alle Anhörungen wurden live übertragen: Der Sturz Pistorius' vom international gefeierten Ausnahmetalent zum Kriminellen hielt die Öffentlichkeit in Atem - in Südafrika, aber auch weltweit.
Verurteilung wegen Totschlags
In erster Instanz war Pistorius Ende 2014 wegen fahrlässiger Tötung zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft empfand das Urteil jedoch als zu milde und legte Berufung ein. Pistorius befand sich währenddessen im Hausarrest in der Villa seines wohlhabenden Onkels in Pretoria. In zweiter Instanz erzielte die Staatsanwaltschaft Ende 2015 eine Verurteilung wegen Totschlags.
Inzwischen wurde das Kriminaldrama auch verfilmt: In "Oscar Pistorius: Blade Runner Killer" spielt das deutsche Model Toni Garrn das Opfer Steenkamp. Der Film soll am 11. November erstmals im US-Kabelfernsehen gezeigt werden. Pistorius' Familie will rechtlich dagegen vorgehen. Bruder Carl Pistorius erklärte, der Film stelle eine "grobe Verzerrung" dar, denn Oscar sei kein "Killer".