Am 4. Oktober ist eine 22-jährige Bosnierin nach mehreren Taschendiebstählen in der Bundeshauptstadt festgenommen worden. Bereits heute, Freitag, hat sie sich wegen schweren gewerbsmäßigen Diebstahls am Landesgericht für Strafsachen verantworten müssen. Die Verhandlung gewährte Einblicke in eine besonders perfide Form von Menschenhandel.
Die aus Bosnien stammende Angeklagte war mit zwölf Jahren von ihrer Mutter weggeben worden. Ein Landsmann nahm sie mit nach Belgien, wo sie von dessen Tochter zur Taschendiebin ausgebildet wurde, wie die äußerlich minderjährig, fast noch kindlich wirkende junge Frau nun Richter Andreas Böhm erzählte.
Geschlagen, eingesperrt, geschwängert
Ihr Ziehvater hatte offenbar eine ganze Bande von Mädchen um sich geschart, die er zum Stehlen ausschickte. Es gab auch männliche Aufpasser, die dafür sorgten, dass diese parierten. "Ich habe geweint und gesagt, dass ich das nicht machen will", berichtete die Angeklagte. Daraufhin sei sie geschlagen und eingesperrt worden. "Aufgrund der erlebten Gewalt und anhaltender Drohungen hat sie keine andere Möglichkeit gehabt, als das zu machen, was ihr aufgetragen wurde", betonte Verteidigerin Barbara Steiner.
Zehn Jahre hindurch wurde die junge Frau quer durch Europa geschickt, um an stark frequentierten Plätzen wie U-Bahnen oder Bahnhöfen Leute zu bestehlen. Als sie 15 war, wurde sie von einem Aufpasser geschwängert. Sie wurde gezwungen, zu Hause bei ihrem Ziehvater zu entbinden. Nach der Geburt nahm man ihr das Baby ab: "Ich weiß nicht, wo man es hingegeben hat." Eine Schule hat die 22-Jährige nie besucht, einen Arzt nie gesehen, einen Ausweis, mit dem sie sich legitimieren hätte können, nie besessen.
"Warum sind Sie da nicht zur Polizei gegangen?"
Ende September wurden sie und eine unmündige Komplizin mit dem Auto von Italien nach Wien gebracht. Über sieben oder acht Tage hinweg nahmen die beiden Passanten deren Brieftaschen ab, wobei sie sich mit anderen Mädchen zusammentaten, die offenbar derselben Bande angehörten und die schon länger in Wien waren. Die Beute mussten sie einem Aufpasser übergeben, der nach ein paar Tagen weiterreiste. "Warum sind Sie da nicht zur Polizei gegangen und haben sich Hilfe geholt?", wollte der Richter wissen. "Weil ich Angst hatte. Man hat mich mit dem Umbringen bedroht, wenn ich zur Polizei gehe", erwiderte die 22-Jährige.
Knapp ein Dutzend Diebstähle konnten der Angeklagten dank Bildern aus Überwachungskameras nachgewiesen werden. Mit Sicherheit dürfte sie weitere begangen haben, ehe sie und ihre unmündige Komplizin auf frischer Tat ertappt wurden. Die Ältere landete in U-Haft, ihre noch strafunmündige Mittäterin beim Verein "Drehscheibe", einer Wohngruppe für unbegleitete Kinder. Auf die Frage "Wie soll' es mit Ihnen weitergehen?" erntete der Richter ein hilfloses Achselzucken der Angeklagten.
Bandenmitglieder warteten vor Gerichtssaal
Am Ende wurde die 22-Jährige im Sinn der Anklage verurteilt, wobei der Richter davon ausging, dass die strafbaren Handlungen im Rahmen einer kriminellen Vereinigung gesetzt wurden. Aufgrund der "massiv mildernden Umstände", wie der Richter im Hinblick auf die Lebensgeschichte der jungen Frau meinte, kam sie mit sechs Monaten auf Bewährung davon. Das Urteil ist bereits rechtskräftig. Die junge Frau wurde unmittelbar nach der Verhandlung auf freien Fuß gesetzt.
Vor dem Gerichtssaal wurde die 22-Jährige bereits erwartet - offenbar von Vertrauten jener Bande, der sie angehört hatte und mit der sie nun nichts mehr zu tun haben will. Eine Vertreterin des Vereins LEFÖ, der sich um Betroffene von Frauenhandel kümmert, war allerdings auch anwesend. Diese sicherte zu, dass die 22-Jährige, die ihren Angaben zufolge zu ihrer Mutter nach Bosnien zurückkehren will, vorerst bei LEFÖ unterkommen wird.