Sie nennen ihn al-Ammu, den Onkel. Als er vor Jahren noch auf der Suche nach Gelegenheitsjobs auf dem Markt von Sabratha herumlungerte, fragte Ahmed Dabashi stets: „Onkel, hast du eine Zigarette?“ Der Spruch wurde zu seinem Spitznamen. Sonst hat Dabashi kaum etwas mit dem kleinen Jungen von damals gemein. Der Libyer ist einer der berüchtigten Schlepperbosse, die an der Küste Libyens operieren. Inzwischen schicken Dabashi und seine Söldner die Flüchtlinge aber nicht mehr aufs Meer, sondern halten sie von der Überfahrt ab.
Noch am 1. Juni veröffentlichten UN-Experten einen Bericht über Libyen, in dem Dabashi als einer der aktivsten Menschenhändler an der libyschen Küste aufgeführt wird. In den vergangenen drei Monaten haben er und vielleicht auch andere Milizenführer eine erstaunliche Läuterung durchgemacht. Vom international gesuchten Schlepperkönig wurde der 35-Jährige zu einem der wichtigsten Verbündeten Italiens und der EU.
Geld aus Europa
Nach übereinstimmenden Zeugenaussagen ist Dabashi derjenige, der mit seinen Söldnern die zentrale Mittelmeerroute blockiert. Statt Flüchtlinge über das Meer nach Italien zu schicken und dafür zu kassieren, halten Dabashi und seine Leute die Hand dafür auf, dass sie die Migranten von der Überfahrt abhalten. Viel deutet darauf hin, dass das Geld für Dabashi letztlich aus Europa fließt.
Die Zahlen sind eindeutig. Den gesamten August über kamen nur noch 3892 Menschen von Libyen über das Meer nach Italien, im August 2016 waren es noch 21.294 Migranten. Auch die Daten von September (wenige Hundert Migranten) weichen stark von den im Spätsommer wegen milden Wetters üblichen Überfahrten ab.
Der Hauptgrund für den Rückgang sind nicht etwa Erfolge der libyschen Küstenwache, sondern ist Dabashis Seitenwechsel. Bislang legten die meisten Flüchtlingsboote aus der Gegend um Sabratha ab, 70 Kilometer westlich von Tripolis. Jetzt herrscht Flaute. Der „Corriere della Sera“ bestätigte Informationen, wonach der „berühmteste Bandit der Region“ mit den Regierungen Tripolis und in Rom verhandle.
Drogen, Öl, Menschenhandel
Dabashi soll bis zu 500 Männer kommandieren. Seine Miliz betätigte sich zunächst im Drogen- und Erdölschmuggel und ist auch für sogenannte Sicherheitsdienste gefragt. Seit 2015 bewacht die von ihm angeführte und nach einem Cousin benannte „Brigade Anas Dabbashi“ oder „Ammu-Brigade“ die westlich von Sabratha gelegene Öl- und Gasraffinerie Mellitah, die von der libyschen Ölgesellschaft zusammen mit dem italienischen Energiekonzern Eni betrieben wird. Dabashi steht in Kontakt mit dem italienischen Geheimdienst. Eine zweite Miliz, die „Brigade 48“, wird von seinem Bruder befehligt.
Internationale Beobachter bestätigen Dabashis Seitenwechsel vom Schlepper zum Retter. Fünf bis zehn Millionen Euro sei Rom diese Leistung bislang wert gewesen, zitiert der „Corriere della Sera“ eine anonyme Polizeistelle in Libyen. Die italienische Regierung dementiert einen Pakt mit den ehemaligen Schleppern.
Eine zentrale Rolle bei den Vorgängen dürfte die international anerkannte, aber schwache Einheitsregierung von Fajes al-Sarradsch spielen, die von Italien und der EU finanziert wird. Offenbar versucht al-Sarradsch aus den Milizen eine Nationalgarde aufzubauen. Die Milizen fordern Geld, Straffreiheit und ihre Anerkennung.
Die Folgen von Dabashis Aktivitäten sind nur teilweise abzusehen. Die in Libyen strandenden Migranten werden internationalen Hilfsorganisationen zufolge in menschenunwürdige Sammellager gepfercht. Zudem verfügt der Schlepperkönig über ein enormes Druckmittel gegenüber Italien und der EU: Wenn er es sich anders überlegt, nehmen die Meeresüberfahrten einfach wieder zu.