Ein vergilbtes Foto, ein Plüschtier, Teile von Möbelstücken und ein Rosenkranz: Aus den Trümmern, die in Amatrice immer noch auf den Straßen herumliegen, tauchen kleine Erinnerungen an den Alltag dieser Bergortschaft vor der großen Erdbebenzerstörung auf, Spuren von brutal aus dem Leben gerissenen Menschen.
Am 24. August 2016 um 3.36 Uhr bebte die Erde gewaltig. Der Erdstoß in einer Tiefe von vier Kilometern mit Epizentrum in Amatrice in der Region Latium hatte eine Magnitude von 6 und war von Kärnten bis Neapel zu spüren. 300 Menschen kamen ums Leben. Betroffen waren rund 130 Gemeinden im Gebiet um Latium, Umbrien, Abruzzen und den Marken. Die Dörfer Amatrice, Accumoli, Arquata und Pescara del Tronto wurden wie bei einem Bombenangriff verwüstet. Trümmer, Staub, eingerissene Häuser - schreckliche Bilder, die sich den Italienern in die Erinnerung eingebrannt haben. Unter den Todesopfern befanden sich mehrere italienische Touristen, die in der Berggegend den August-Urlaub verbracht hatten. "In wenigen Sekunden war alles zerstört", erinnerte sich eine Überlebende in Arquata.
Die Naturkatastrophe weckte schmerzhafte Erinnerungen an den Erdstoß im April 2009 in L'Aquila mit 306 Todesopfern, der sich fast zur selben Zeit - um 3.32 Uhr - ereignete. Weitere schwere Beben folgten im Oktober 2016 und am 18. Jänner 2017. Die Erdbebenserie verursachte Schäden in Höhe von 23 Milliarden Euro.
Noch immer Schutt und Trümmer
Der Zivilschutz versorgte tausende Menschen, die zuerst in Zeltlagern, in den Wintermonaten dann zum Großteil an der Adria und am Trasimeno-See in Umbrien untergebracht wurden. Viele Menschen weigerten sich jedoch, die Gegend zu verlassen. Vor allem Landwirte und Viehzüchter übernachteten in Wohnmobilen, um ihre Grundstücke und Tiere nicht verlassen zu müssen. Manche Einwohner lebten in Containern. Mehrere Fertighäuser wurden für Familien aufgestellt.
Das alte Amatrice sieht aus, als wäre die Katastrophe gestern erst passiert. Noch immer türmen sich in der abgeriegelten "roten Zone" Schutt und Trümmer. Die Reste wurden zu großen Haufen zusammengekehrt. Weggebracht wurde bisher nur, was den Verkehr auf den Straßen behinderte. 100.000 Tonnen Trümmer wurden bisher geräumt. Dabei müssten allein aus Amatrice 1,1 Tonnen Schutt entfernt werden. Die Bürokratie erschwert die Räumungsarbeiten. Hinzu kam, dass es im vergangenen Winter in der Gegend auch noch so stark geschneit hat wie seit 1956 nicht mehr.
"Wir dürfen dieses Dorf nicht sterben lassen", lautet die Devise der Einwohner. Die Gefahr, dass Amatrice, Accumoli, Arquata und das weiter entfernte Norcia sowie die anderen vom Erdbeben betroffenen Gemeinden verlassen werden, ist real. Mindestens zehn Jahre wird es brauchen, um alles wieder so aufzubauen, wie es einmal war, schätzen Experten.
Vor allem der Tourismus ist weggefallen. Nur acht Restaurants konnten in der Umgebung von Amatrice wieder öffnen. Einst galt die Berggemeinde in der Provinz Rieti als Feinschmeckerparadies. Bei den Italienern war sie als Pasta-Hauptstadt und Gastronomie-Hochburg bekannt. Der Ort auf einer Höhe von rund 1.000 Metern ist Namensgeber der "Spaghetti all' Amatriciana", eines der populärsten Nudelgerichte Italiens. Schon bei den alten Römern war Amatrice ein beliebter Urlaubsort.
Gedenken mit Fackelzug
In der Nacht ging in Gedenken an die Opfer ein Amatrice ein Fackelzug über die Bühne. Um exakt 3.36 Uhr, zu dieser Zeit hatte damals die Erde gebebt, läuteten in Amatrice die Glocken. Dabei wurden die Namen der Todesopfer vorgelesen.
Für jedes Opfer gab es einen Glockenschlag. Die Zeremonie fand unter einem großen Zelt auf dem Sportplatz von Amatrice im Beisein der Familien und Freunde der Opfer statt. Am Donnerstagvormittag ist eine Messe vorgesehen, an welcher der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni teilnehmen wird. Um 17.00 Uhr folgt eine weitere Messe für alle Opfer des Erdbebens in der Ortschaft Arquata del Tronto, die ebenfalls vom Erdbeben zerstört wurde.