Das Zeitfenster für das 1,5-Grad-Ziel schließt sich, was das Abstoppen der Klimaerwärmung der Erde betrifft. Selbst beim sofortigen Aufhören aller klimarelevanten Emissionen würde sich die Erde allein in diesem Jahrhundert um etwa 1,1 Grad erwärmen. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie von deutschen und US-Meteorologen.
Die wissenschaftliche Untersuchung von Thorsten Mauritsen, Leiter einer Forschungsgruppe am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie, und seinem Kollegen Robert Pincus, Wissenschafter der University of Colorado (USA), zeigt demnach: Zur bisherigen Erwärmung von 0,8 Grad Celsius kämen auch im Fall der Verhinderung aller weiterer Emissionen allein bis Ende des Jahrhunderts noch etwa 0,3 Grad Celsius hinzu.
Vorbestimmte Erwärmung
Der Grund dafür ist die große Trägheit des Klimasystems der Erde. "Die überschüssige Energie, die derzeit ins Erdsystem hineinfließt, wird hauptsächlich von den Ozeanen aufgenommen", wurde Mauritsen in einer Aussendung des Max-Planck-Instituts zitiert. Die gewaltigen Wassermassen in den Weltmeeren brauchen lange, um sich aufzuwärmen.
Wie groß diese schon jetzt vorbestimmte Erwärmung ist - also die Erwärmung, die durch die bisherigen Emissionen bereits verursacht wurde, aber erst in Zukunft eintreten wird - haben Mauritsen und sein Kollege Robert Pincus von der University of Colorado jetzt mit einer einfachen Methode ermittelt. Die Ergebnisse stellten sie in der Zeitschrift Nature Climate Change vor. Im Gegensatz zu bisherigen Studien verzichteten sie auf den Einsatz komplexer Klimamodelle und nutzten stattdessen ausschließlich Beobachtungsdaten. Damit berechneten sie, wie empfindlich das Klima auf das Treibhausgas CO2 reagiert.
Da CO2 nicht das einzige Gas ist, das bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas freigesetzt wird, bezogen Mauritsen und Pincus auch weitere Emissionen mit in ihre Untersuchung ein, und zwar Aerosolpartikel und andere Treibhausgase wie Methan, Stickoxide und Kohlenmonoxid. Während CO2 viele Jahrtausende in der Atmosphäre überdauert und in dieser gesamten Zeit seine wärmende Wirkung ausübt, verschwinden Aerosole bereits nach wenigen Tagen wieder aus der Luft. Methan, Stickoxide und Kohlenmonoxid sind ebenfalls recht kurzlebig, ihre Lebensdauer in der Atmosphäre beträgt weniger als zehn Jahre. Die Wirkung der Luftschadstoffe ist aber unterschiedlich und muss ebenfalls einberechnet werden.
Für ihre Studie nahmen Mauritsen und Pincus an, dass alle Emissionen im Jahr 2017 schlagartig aufhören. In diesem Fall, so das Ergebnis, würde sich das Erdklima langfristig - also nach einigen Jahrtausenden - bei einer Temperatur einpendeln, die 1,5 Grad Celsius über dem Niveau des Jahres 1850 liegt. Bisher hat sich die Erde gegenüber der Durchschnittstemperatur vor Beginn der Industrialisierung bereits um 0,8 Grad erwärmt. "Zu diesem Wert würden also noch einige Zehntel hinzukommen", erläuterte der deutsche Wissenschafter. Bis Ende des 21. Jahrhunderts läge die Erwärmung der Studie zufolge bei 1,3 Grad Celsius im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten. Den größten Teil des Weges bis zum Gleichgewicht würde das Klima demnach bereits in diesem Jahrhundert zurücklegen. Das ist aber nicht zu erwarten, weil der radikale Ausstieg aus der herkömmlichen Energiegewinnung fehlt.
Der Wert der Studie liegt den Autoren zufolge darin, dass sich auf ihrer Grundlage ermitteln lässt, wie realistisch bestimmte Temperaturziele sind - etwa das im Pariser Klimaabkommen vereinbarte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Mauritsen und Pincus zufolge besteht eine Wahrscheinlichkeit von 13 Prozent, dass die bisher ausgestoßenen Emissionen schon ausreichen, um die Erde auf Dauer mehr als 1,5 Grad zu erwärmen - dass das Pariser Ziel also bereits verfehlt ist. Daher sei es noch möglich, dieses Ziel zu erreichen. Das Zeitfenster dafür schließt sich allerdings schnell: "Bei der derzeitigen Emissionsrate dauert es noch etwa 15 bis 30 Jahre, bis das Risiko, das 1,5-Grad-Ziel zu überschreiten, fünfzig Prozent erreicht", berichtete Mauritsen.