Vor den Parlamentswahlen im Herbst in Tschechien und Deutschland wächst die Angst, dass sich Netzwerke fremder Regierungen wie Russland in den Entscheidungsprozess einmischen könnten. "Wir stehen alle in der Pflicht, gegen Desinformationskampagnen zu kämpfen", mahnt der tschechische Regierungschef Bohuslav Sobotka.
Doch wie kommt man etwa gegen eine Armee von Meinungsrobotern an, die im Netz Halbwahrheiten und Propaganda verbreiten? In Prag diskutierten in der vergangenen Woche rund 260 Experten aus 29 Ländern auf Einladung der Denkfabrik "Europäische Werte" darüber. Einig war man sich beim "Stratcom Summit 2017" bei der Einschätzung der Gefahren, weniger aber bei der Suche nach der richtigen Reaktion.
Vor Falschmeldungen warnen
Tschechien setzt darauf, Internet-Nutzer via Twitter vor Falschmeldungen zu warnen. Ein Beispiel: Eine Vertreterin der pro-russischen, international nicht anerkannten "Volksrepublik Donezk" sagte in einem Interview, in Tschechien würden 100. 000 Flüchtlinge leben. "Die Wahrheit über die genauen Zahlen sagt man uns natürlich nicht", fügte sie hinzu. "Sicher ist, dass in großem Stil Bibliotheken geschlossen werden, um Gebetshäuser zu bauen."
Das neue Zentrum gegen Terrorismus und hybride Gefahren reagierte prompt: "Im Jahr 2016 haben 450 Menschen internationalen Schutz erhalten. Woher kommt die Zahl 100.000?" schrieb die Abteilung des tschechischen Innenministeriums in den sozialen Medien. Und als in Litauen Gerüchte die Runde machten, Bundeswehrsoldaten hätten ein Mädchen vergewaltigt, warnte das dortige Cyber-Sicherheitszentrum vor der Fake-News-Attacke. Sie soll von Russland ausgegangen sein.
Lügen bleiben hängen
Doch nicht alle halten diese Strategie für richtig: Es sei eine schlechte Idee, Falschmeldungen aufzugreifen, selbst wenn man die Lügen dahinter entlarve, sagt Jed Willard von der renommierten Harvard-Universität. Seiner Ansicht nach ist die Gefahr zu groß, dass die Lügen dennoch beim Leser hängenbleiben. Seine Empfehlung: "Erzähl lieber deine eigene Story - denn wer seine eigene Geschichte am besten erzählt, gewinnt am Ende."
Der britische Journalist Edward Lucas rechnet mit neuen "Enthüllungen" in den letzten zwei Monaten vor der Bundestagswahl in Deutschland. Diese könnten zum Beispiel die Parteienfinanzierung betreffen. "Es wird interessant sein, wie die deutschen Medien darauf reagieren werden", sagt der "Economist"-Redakteur und langjährige Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Freie Gesellschaften seien verletzbar und dies könne jederzeit ausgenutzt werden, warnt Lucas, Autor von Büchern wie "Der Kalte Krieg des Kreml". Auch wenn in Frankreich Marine Le Pen die Präsidentenwahl gegen Emmanuel Macron verloren habe, habe sich die Ultrarechte doch als Opposition etablieren können. "Für Russland dürfte das mittelfristig ein wichtiger Sieg sein."
"Sabotage, Subversion und wirtschaftliche Erpressung"
Doch was treibt Wladimir Putin in Deutschland an? "Die Russen wollen einen ausschlaggebenden Einfluss auf ihre Nachbarn ausüben", meint Mark Laity, Chef für strategische Kommunikation bei der NATO. Dagegen sei nichts einzuwenden, sie hätten aber kein Recht, ihr Ziel "mit Sabotage, Subversion und wirtschaftlicher Erpressung" zu erreichen.
Im Kampf um die öffentliche Meinung sucht auch der US-amerikanische Auslandssender Radio Freies Europa neue Wege. Mit dem jüngst lancierten russischsprachigen Nachrichtenkanal "Current Time" will er eine Alternative zu den Staatsprogrammen des Kreml anbieten. Doch wo liegt der Unterschied? "Kein Regierungsbeamter kann uns unsere redaktionelle Linie vorschreiben", sagt RFE-Präsident Thomas Kent. "Die Experten, die wir zitieren, gibt es wirklich - und sie sind Experten", so der frühere Moskau-Korrespondent der Agentur AP.
Michael Heitmann/dpa