Als 1938 eine Viererseilschaft um den Deutschen Anderl Heckmair und den Österreicher Heinrich Harrer die Eiger-Nordwand das erste Mal bezwang, brauchten sie drei Tage. Der große Reinhold Messner und der nicht minder starke Peter Habeler schafften die Nordwand 1974 in zehn Stunden. Als der Schweizer Ueli Steck im November 2015 auf dem Gipfel des Eiger seine Stoppuhr drückte, blieb die Zeit bei 2 Stunden, 22 Minuten und 50 Sekunden stehen. Ueli Steck hatte wieder einmal einen neuen Fabelrekord aufgestellt: „Ich muss sagen, Geschwindigkeit gefällt mir.“ Wenn es vorwärtsgeht, die Wände hoch, dann fühlte sich die „Swiss Machine“ wohl. Der Kleinen Zeitung gab er im Rahmen des "International Mountain Summit" Brixen vor Kurzem ein Interview.
Am Everest verunglückt
Die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der er Berge hochkletterte, für die normale Alpinisten – wie im Fall der Eiger Nordwand – Tage brauchen, rückten den gerade erst 40 Jahre alt gewordenen Schweizer in die Nähe einer Maschine. Dass er doch verletztlich war, wird einem erst jetzt bewusst, wenn man von seinem Tod erfährt: Ueli Steck stürzte bei einer Vorbereitungstour am Mount Everest in den Tod. Der 40-Jährige sei allein unterwegs gewesen: Irgenwo zwischen Camp I und Camp II ist er 1000 Meter abgestürzt. Das teilte Mingma Sherpa von "The Seven Summits Trecks" mit, die die Expedition von Steck mitorganisiert haben. Steck soll gegen 10 Uhr am Sonntag verunglückt sein.
Alles hatte er abgesteckt, bis ins kleinste Detail geplant. Ueli Steck freute sich, wenn er erzählte, dass man an einem Vormittag am Eiger sein konnte und dann noch immer genug Tag zur Verfügung hatte. Damit war Steck ein Sinnbild unserer Zeit: Immer mehr Handlungs- oder Erlebnisepisoden will der Mensch der Stunde erleben. Der deutsche Soziologe Hartmut Rosa nennt dieses Phänomen die Beschleunigung des Lebenstempos.
"Nie im Stress"
Während der normale Mensch in seinem normalen Leben durch diesen Überdruck der Beschleunigung Zeitnot und Stress erlebt, wollte Steck das erst gar nicht spüren: „Wenn man effizient ist, wenn man schnell ist, ist man nie im Stress.“ Es gab keinen Tag im Leben des Ueli Steck, der ungenützt schien: Sechs Tage die Woche trainierte er, an einem Tag machte der Extrem-Alpinist Pause. „Nichts machen, das schaffe ich nicht.“ Und weil er so unglaublich schnell war, blieb er sich selbst immer sein treuester Partner: „Ich gebe zu, wenn ich zu viel mit anderen Leuten unterwegs bin, werde ich irgendwann nervös.“
Das war auch ein Grund, warum für den Schweizer der Bergführerberuf nie eine Option war: „Das würde mir keinen Spaß machen. Wenn du da mit einem anderen Bergsteiger absteigst und du brauchst drei Stunden, während du weißt, du bist in 15 Minuten unten", sagte er in Brixen: Ueli Steck sah ehrlich fassungslos aus, als er dem Autor dieser Zeilen das sagte. 1000 Höhenmeter stieg er in gut 15 Minuten ab. Mit normalen Bergsteigen hatte das aber nichts zu tun: Steck lief die Berge hoch und er lief sie auch wieder runter. Er rannte über Gipfelgrate hinweg, sprang und kletterte und sagte, dass er gar nicht am Limit war, als er den Geschwindigkeitsrekord an der Eiger-Nordwand aufstellte. „Was mir bleibt, ist das intensive Gefühl der Bewegung. Das Gefühl, das mich antreibt. Das bleibt mir auch. Wenn ich etwas gemacht habe, ist es gemacht, das hat dann keine Relevanz mehr“, sagte Steck. Aber das Gefühl der Bewegung blieb ihm, wie ein Art Erinnerung an den Rausch der Zeit.
Und so hatte er sich vom 11. Juni bis 11. August 2015 wieder extrem bewegt und alle 82 Viertausender der Alpen in 62 Tagen bezwungen. Das sind 117.489 Höhenmeter. Steck verdichtete das Bergsteigen zu einer schnellen Abfolge von Möglichkeiten: In seinem jüngsten Buch „Der nächste Schritt“ beschrieb Steck wie er das Strahlhorn (4190 Meter) bestieg, danach das Allalinhorn (4027 Meter), den Gipfel des Alphubels (4206 Meter) und dann in der Britanniahütte Weißwurst, Käse und Saaser Randenwurst aß.
Das „Speed Bergsteigen“ wächst aus dem selben Zeitgeist wie „Fast Food“ oder „Speed Dating“. Um die Gedanken des Soziologen Rosas wieder aufzugreifen, führt die Beschleunigung des Lebenstempos zwar zu einer erlebnisreichen aber erfahrungsarmen Gesellschaft. Und genau in dem Punkt schlug die „Swiss Machine“ dem Zeitgeist ein Schnippchen: Die Bewegung selbst wurde zu seinem Erlebnis. Steck war nie erfahrungsarm. Das Bergsteigen ist ja das spürbar pure Erfahren der eigenen Grenzen.
An eine solche Grenze kam Steck 2013, als er und der italienische Alpinist Simone Moro im Lager 2 (6200 Meter) am Mount Everest von Sherpas mit dem Umbringen bedroht wurde. „Das hat mich tief erschüttert. Da habe ich mein Urvertrauen verloren.“ Das Problem entzündete sich, weil Steck und Moro angeblich beim Steigen oberhalb der von Sherpas präparierten „Touristen-Piste“ Eis lostraten. Ein erboster Sherpa raste damals auf den ungesicherten Steck zu.
Steck sah sich gezwungen, den Sherpa mit der Hand abzustoppen, um nicht abzustürzen. Das Erlebte hatte Steck aber mittlerweile verdaut und war wieder am Everest: „Man muss Träume haben. Wenn ein Mensch keine Träume mehr hat, ist er eigentlich tot. Und die werden mir nicht ausgehen", sagte er beim "International Mountain Summit" in Brixen“ zur Kleinen Zeitung. Jetzt hatte Steck wieder Träume und war am Everest unterwegs - leider werden seine Träume nicht mehr in Erfüllung gehen.