Russische Eltern sind alarmiert: Sogenannte Todesgruppen im Internet treiben Jugendliche dazu, sich das Leben zu nehmen. Dutzende Suizide von Teenagern sind nach Recherchen der Zeitung "Nowaja Gaseta" auf diese Foren in sozialen Netzwerken zurückzuführen.
"Ich habe lediglich ein paar Leuten erklärt, warum es das Beste ist, zu sterben", schilderte Filipp Budeikin ganz offen, wie die Todesgruppen funktionieren. Kurz darauf wurde der 22-Jährige in St. Petersburg festgenommen. Er soll als Mentor einer versteckten Gruppe bei VK - dem russischen Äquivalent zu Facebook - 15 Jugendliche zum Selbstmord angestiftet haben.
Dann beginnt das "Spiel"
"Als erstes musst du Gruppen mit deprimierenden Inhalten aufbauen", sagte Budeikin lokalen Medien. "Dann beginnt das Spiel". Bei diesem "Spiel" müssen die Teilnehmer bestimmte Aufgaben erfüllen, zum Beispiel sich selbst verletzen. Tun sie das nicht, würden sie erpresst, fand "Nowaja Gaseta" heraus.
Suizid ist in Russland ein großes Tabu-Thema. Doch seit den Recherchen der Zeitung wird öffentlich darüber gesprochen. Präsident Wladimir Putin zeigte sich besorgt und forderte härtere Strafen für die Anstiftung zum Selbstmord.
Dreimal höhere Suizidrate
Die Suizidrate unter Minderjährigen ist in Russland nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation dreimal höher als im weltweiten Durchschnitt: 20 Teenager pro 100.000 Menschen nehmen sich das Leben. Nachdem die Rate rückläufig war, sei sie im vergangenen Jahr wieder um 57 Prozent gestiegen, sagt die russische Kinderrechtsbeauftragte Anna Kusnezowa. Sie führt den Anstieg auf die "Todesgruppen" zurück.
Zwischen November 2015 und April 2016 brachten sich 130 Teenager in Russland um. Dutzende davon wurden laut "Nowaja Gaseta" von den Internet-Gruppen dazu angestiftet. Auch in der benachbarten Ukraine haben die Selbstmorde unter Jugendlichen deutlich zugenommen.
Zugang zu 500 Gruppen gesperrt
Die Polizei sperrte dort den Zugang zu 500 Gruppen in den sozialen Netzwerken. Von den 70 täglich als verschwunden gemeldeten Teenagern sind nach Angaben der ukrainischen Polizei 20 bis 30 Prozent Mitglieder solcher Todesgruppen. Dennoch mahnen russische und ukrainische Experten, das Phänomen nicht überzubewerten. Manche warfen "Nowaja Gaseta" vor, Einzelfälle zu Schauermärchen aufzubauschen.
Doch die Aussagen Budeikins, des inhaftierten "Mentors" einer Todesgruppe, sind zweifelsohne erschreckend. Die Jugendlichen bezeichnete er als "wertlose Menschen" und "biologisch abbaubaren Müll". Sein Ziel sei es gewesen, die Gesellschaft davon zu "säubern". Für den Tod der Teenager fühlt er sich nicht verantwortlich: "Sie waren diejenigen, die die Entscheidung getroffen haben", sagt er. "Niemand hat sie gezwungen".