Die kriminellen Massenübergriffe auf Dutzende Mädchen und Frauen in Köln und Hamburg ziehen weiter Kreise: Inzwischen wurden in Köln mehr als 100 Anzeigen erstattet, in Hamburg über 50. Dutzende Frauen sollen ausgeraubt oder belästigt, zwei vergewaltigt worden sein.

Vier Verdächtige identifiziert

Vier mutmaßliche Täter wurden identifiziert. Es gebe "konkrete Hinweise auf vier männliche Tatverdächtige", teilte die Polizei am Mittwoch mit. Noch in der Silvesternacht seien zwei aus Nordafrika stammende Taschendiebe auf frischer Tat ertappt worden. Nach der Identifizierung der beiden Männer seien sie wieder aus der Obhut der Polizei entlassen worden.

Zwei weitere Verdächtige befänden sich bereits seit Sonntag in Untersuchungshaft. Demnach wurden sie am frühen Sonntagmorgen von Bundespolizisten auf einem Gleis des Kölner Hauptbahnhofs festgenommen. Sie sollen gemeinsam mit drei Komplizen kurz zuvor einen Reisenden bestohlen haben. "Derzeit liegen konkrete Hinweise vor, dass die Beschuldigten kurz vor dem Diebstahl mehrere Frauen angesprochen und bedrängt haben", teilte die Polizei weiter mit. Während der Festnahme seien die geschädigten Frauen weggegangen, ohne ihre Personalien zu hinterlassen. Die Polizei rief die Frauen auf, zu den Vorkommnissen auszusagen.

Polizei unter heftigem Beschuss

Vor allem die Polizei sieht sich heftiger Kritik ausgesetzt, weil sie zu spät auf die aggressive Menschenmenge vor dem Kölner Hauptbahnhof reagiert haben soll und erst zwei Tagen nach den Übergriffen über die Vorfälle informierte. Dabei waren nach ihren Angaben am Silvesterabend auf dem Platz vor dem Bahnhof in Köln zahlreiche Frauen im Getümmel sexuell bedrängt und bestohlen worden. Zuvor hatten sich etwa 1.000 Männer, dem Aussehen nach größtenteils nordafrikanischer oder arabischer Herkunft, auf dem Bahnhofsvorplatz versammelt und mit Feuerwerkskörpern um sich geworfen. Die Ermittlungsgruppe wird künftig auf 80 Mitarbeiter aufgestockt.

Wegen des Ausmaßes lässt Justizminister Heiko Maas (SPD) prüfen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen den Taten in Köln und ähnlichen Attacken in Hamburg. "Das Ganze scheint abgesprochen gewesen zu sein," sagte Maas im ZDF-"Morgenmagazin". "Es wäre schön, wenn das keine Organisierte Kriminalität wäre, aber ich würde das gerne mal überprüfen, ob es im Hintergrund Leute gibt, die so etwas organisieren." So etwas geschehe nicht aus dem Nichts, es müsse jemand dahinterstecken.

Hamburger Ermittler gehen bisher nicht von Verbindungen aus. In der Hansestadt wurden Frauen nahe der Reeperbahn in der Silvesternacht von mehreren Männern umringt und an der Brust oder im Intimbereich begrapscht. Die Opfer seien zwischen 18 und 25 Jahren alt. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die Übergriffe als Schande. "Wer sich in Gruppen zusammenrottet, um sich an Frauen zu vergehen, hat keine Ehre. Er handelt kriminell, böse und feige", schrieb Scholz auf seiner Facebook-Seite und seiner Homepage.

Sexuell motivierte Verbrechen

Drei Viertel der insgesamt mehr als 150 Anzeigen in Köln und Hamburg haben nach Polizeiangaben einen sexuellen Hintergrund. "Viele Frauen geben in den Gesprächen an, dass sie auch angefasst wurden", sagte eine Kölner Polizeisprecherin. Augenzeugen und Opfer hatten nach den Übergriffen am Dom ausgesagt, die Täter seien dem Aussehen nach größtenteils nordafrikanischer oder arabischer Herkunft. Die Polizei spricht trotz der ermittelten Verdächtigen von einer sehr schwierigen Beweisführung. Das liege vor allem an der "Gemengelage" in der Silvesternacht. "Manchmal braucht der Rechtsstaat Zeit. Diese Zeit müssen wir ihm geben", sagte Innenminister Jäger dazu.

Vor allem Polizei und Kölner Stadtspitze standen auch am Mittwoch in der Kritik. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) bemängelte in den ARD-"Tagesthemen" den Einsatz der Kölner Beamten: "Da wird der Platz geräumt - und später finden diese Ereignisse statt, und man wartet auf Anzeigen. So kann die Polizei nicht arbeiten." NRW-Innenminister Ralf Jäger entgegnete, auch im Bereich der Bundespolizei habe es Übergriffe gegeben. "Es eine Frage des Stils, ob man ohne Detailkenntnisse, bei eigener Verantwortung, Polizeieinsätze in anderer Zuständigkeit beurteilt." Die Bundespolizei untersteht dem Innenminister.

Die Kölner Polizeiführung räumte zwar ein, am Neujahrsmorgen falsch über die Ereignisse der Nacht berichtet zu haben. In einer Erklärung hatte sie die Lage zunächst als recht entspannt beschrieben und sich selbst gelobt. Kritik am Einsatz wies sie allerdings zurück. "Wir waren nicht überfordert", sagte Polizeipräsident Wolfgang Albers. Das ganze Ausmaß der Vorfälle sei erst später klar geworden. Einen Rücktritt schloss Albers aus. "Gerade jetzt bin ich, glaube ich, hier gefragt", sagte er auf WDR 5. Dagegen verlangte FDP-Chef Christian Lindner personelle Konsequenzen an der Spitze der Polizei.

Auch Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) muss sich gegen Vorwürfe wehren. Sie zog mit einer Verhaltensempfehlung an Frauen Spott im Internet auf sich. "Es ist immer eine Möglichkeit, eine gewisse Distanz zu halten, die weiter als eine Armlänge betrifft", hatte sie vor Journalisten auf die Frage geantwortet, wie man sich als Frau besser schützen könne.

Schutz von Frauen gefordert

Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) hat angesichts der Übergriffe von Köln einen konsequenten Schutz von Frauen durch die Polizei gefordert. Es dürfe jetzt keine Debatte darüber geben, ob Frauen ihr Verhalten ändern müssten, sagte Schwesig am Mittwoch in Berlin. "Die Männer, die so etwas machen, müssen ihr Verhalten ändern, und vor allem müssen sie zur Rechenschaft gezogen werden."

Zu den Werten in Deutschland gehöre der Respekt vor Frauen, sagte Schwesig. "Die Zeiten, wo wir Frauen uns nicht frei bewegen dürfen, wo wir keine Miniröcke tragen dürfen, diese Zeiten sind vorbei." Flüchtlinge dürften nicht pauschal solcher Straftaten verdächtigt werden, aber auch sie müssten sich an die geltenden Werte halten, sagte die Ministerin. "Wer sich an diese Werte nicht hält, wer Straftaten auch gegenüber Frauen begeht, der hat sein Gastrecht verwirkt." Es müsse offen darüber gesprochen werden, wenn Männer, die aus anderen Ländern kommen, Frauen nicht respektierten. "Wenn wir diese Probleme nicht offen ansprechen, ist es Wasser auf die Mühlen von Rechtsextremisten."