Es war etwa vor vier Jahren, als Salvatore Minieri erstmals Verdacht schöpfte. Auf dem riesigen, verlassenen Areal der Firma Pozzi in Calvi Risorta im Norden von Caserta ragten die Abfälle an allen Ecken und Enden aus dem Boden. Beim Spazierengehen fand Minieri sogar Asbest und Haufenweise Medikamente. Er entschied sich, genauer hinzusehen. Mit ein paar Freunden und Schaufeln legte der Journalist los. „Plötzlich kam alles mögliche zum Vorschein. Das Erdreich war blau, rosa, grau und orange gefärbt.“
Inzwischen ermittelt auch die Staatsanwaltschaft von Santa Maria Capua Vetere im Fall der mutmaßlich größten illegalen Industriemüll-Deponie Europas, im Hinterland zwischen Neapel und Rom. Als solche bezeichnete die Müllkippe General Sergio Costa von der Forstpolizei, deren Beamten zusammen mit Carabinieri und Feuerwehr in weißen Schutzanzügen und mit blauen Gummihandschuhen seit Tagen Test-Grabungen vornehmen. Das Areal ist 25 Hektar groß, die Bagger gruben im Erdreich. Gefunden wurde Giftmüll von der Oberfläche bis in neun Meter Tiefe. „Das sind zwei Millionen Kubikmeter hochgefährlicher Müll“, rechnet Sergio Costa vor.
Goodyear, Basf
Für diesen Mittwoch hatte der italienische Umweltminister Gian Luca Galletti deshalb eine Sondersitzung in Rom einberufen. Der Fall hat nationale Tragweite. Und eine internationale Komponente. Einige der gefundenen Fässer tragen laut Staatsanwaltschaft die Aufschrift internationaler Konzerne: „Goodyear“, „Basf“, „Eltex“ und „Pozzi Vernici“. Auf einigen Behältern sind noch die Produktionsnummern lesbar. Die Ermittler sind sich sicher, so Produzenten und Käufer zurück verfolgen zu können. Gegen zehn Personen wird bisher ermittelt, sie sollen in erster Linie Eigentümer der betreffenden Areale sein.
Bei dem vergrabenen Industriemüll handelt es sich in erster Linie um Lösungsmittel und Lacke, dazu Plastikabfälle, PVC und Polyethylen. Bei seinen Recherchen und Probegrabungen, die schließlich auch die Behörden alarmierten, fand der Journalist Salvatore Minieri zudem Safttüten, die vom Anfang der 80er Jahre datierten. „Die stammten von den Arbeitern, die schon damals den Giftmüll hier illegal deponierten“, sagt Minieri. Das Pozzi-Gelände ist seit rund 30 Jahren verlassen, die letzten Abfälle sollen zu Beginn des neuen Jahrtausends abgeliefert worden sein. Minieri verglich eine geologische Karte aus den 60er Jahren mit aktuellen Bildern und stellte fest: „Wo früher ein Tal war, ist heute ein großer Hügel.“
Berüchtigter Camorra-Clan
Die Test-Grabungen der Ermittler ergaben, dass hier offenbar Profis am Werk waren. Sie vergruben den Müll systematisch in Schichten mit Zwischenböden aus Zement für die Stabilität der Deponie. „Das ist die Strategie des Clans der Casalesi“, sagt Minieri. Der berüchtigte Camorra-Clan aus dem 20 Kilometer entfernten Casal di Principe hatte sich in der Vergangenheit unter anderem auf die illegale Entsorgung von Giftmüll spezialisiert. Firmen sparten so hohe Entsorgungskosten. Korrupte Lokalpolitiker verdienten mit. Der inzwischen verstorbene Kronzeuge Carmine Schiavone hatte bereits in den 90ern einer parlamentarischen Untersuchungskommission von den Entsorgungs-Praktiken berichtet. Auch Firmen aus Deutschland hätten in der Gegend um Caserta ihren hochgiftigen Müll, darunter Uran, entsorgen lassen.
Vergangenes Jahr reagierte die Regierung in Rom mit einem Sonderdekret zur Bekämpfung der Müllkriminalität. Auch die wilde Müllverbrennung, die in der Provinz Caserta weit verbreitet ist, sollte etwa mit harten Gefängnisstrafen eingedämmt werden. „Es brennt weiter“, berichtet der Pfarrer Maurizio Patriciello, der an der Spitze von Bürgerprotesten steht und sich mit Müttern der Gegend organisiert hat, deren Kinder an Krebs erkrankt oder gar gestorben sind. Auch die Großdeponie in Calvi Risorta könnte verheerende Folgen haben. Journalist Minieri berichtet, das Wasser aus dem in unmittelbarer Nähe der Deponie gelegenen Rio Lanzi werde zur Bewässerung von Anbaugebieten verwendet.
JULIUS MÜLLER-MEININGEN