Ein „safe space“ war Twitter nie. Schon immer wurde auf der Plattform intensiv und teils heftig diskutiert – Social Media eben. Mit der Übernahme von Elon Musk im Oktober 2022 wurde der Ton jedoch zunehmend rauer, die Gräben tiefer und das Diskussionsniveau unterirdischer.

Großer Aderlass

Viele Prominente haben mittlerweile genug davon. Am Sonntag verließen ORF-Moderator Armin Wolf, Falter-Chefredakteur Florian Klenk, Puls4-Moderatorin Corinna Milborn, Kleine-Zeitung-Chefredakteur-Stellvertreter Michael Jungwirth gemeinsam mit vielen weiteren geschlossen die Plattform - und wechseln zu Bluesky. Es ist ein weiterer Schritt, der dokumentiert, wie sich die Plattform unter Musk entwickelt hat. Nicht nur das Diskussionsniveau, auch der Wert des sozialen Netzwerks, das seit dem Kauf des Tech-Milliardärs „X“ heißt, hat abgenommen.

Verschiedene große Unternehmen hatten Anzeigen auf „X“ gestoppt, nachdem Musk einen Beitrag als „tatsächliche Wahrheit“ bezeichnet hatte, in dem es unter anderem hieß, jüdische Organisationen verbreiteten Hass gegen Weiße. Einen Tag später demonstrierten Hassrede-Forscher in einem Bericht, wie Werbung bekannter Marken bei „X“ neben Nazi-Beiträgen platziert wurde. Musk hatte kein Verständnis für seine abtrünnigen Geschäftspartner. „Wenn jemand versucht, mich mit Anzeigen zu erpressen? Mich mit Geld zu erpressen? Go fuck yourself!“, sagte der wenig in sich-gekehrte Geschäftsmann bei einer Veranstaltung der „New York Times“.

Auch ansonsten handelte der Geschäftsmann in seiner Funktion als Social-Media-CTO oft impulsiv. Von seinem Versprechen, die Plattform zu einem Hort der Meinungsfreiheit zu machen, war schnell wenig zu spüren. Zwar holte Musk nach einer Abstimmung den nach dem Sturm auf das Kapitol gesperrten Donald Trump zurück auf die Plattform, sperrte jedoch (zumindest vorübergehend) bekannte Journalisten und adaptierte Algorithmen, um deren Reichweite zu drücken.

Unter anderem davon betroffen: Die „Washington Post“-Journalistin Taylor Lorenz mit ihren 340.000 Followern. „Ich habe keinerlei Begründung von Twitter erhalten“, sagte Lorenz im Dezember 2022 – zwei Monate nach Musks Übernahme und unmittelbar nach ihrer Sperre – dem deutschen „Spiegel“.

Eine Datenanalyse der „Post“ kam zu dem Schluss, dass Nutzerinnen und Nutzern seit Musks Übernahme vermehrt rechtsextreme und verschwörungstheoretische Inhalte angezeigt wurden, während die Reichweite von Medien und linksgerichteten Personen sank. „In der Vergangenheit sahen politische Akteure auf beiden Seiten Twitter als den Ort, an dem sie Nachrichten und ein Gefühl dafür bekamen, wie die Menschen reagierten ... aber es hat nicht mehr diese echte politische Zentralität“, sagt Shannon McGregor, außerordentlicher Professor an der Universität von North Carolina.

Armin Wolf beklagt „Aggro-Trolle“

Der Diskurs auf „X“ hatte sich zugespitzt. Am Sonntag lief für viele das Fass über. „Dieabsolute Redefreiheit, die Elon Musk mit fast religiösem Eifer predigt, und ein modifizierter Algorithmus haben es den Irren erlaubt, die Anstalt zu übernehmen“, schreibt Armin Wolf in seinem Blog. Zuletzt hatte er 671 Accounts stummgeschaltet und 9.140 blockiert. Politische Tweets hätten zuletzt „Hunderte untergriffige Kommentare großteils vermummter Aggro-Trolle“ ausgelöst.

Bluesky als Alternative

Vom Niedergang von „X“ profitiert nun BlueSky. Die Social-Media-Plattform, die vom Aufbau und Layout „X“ sehr ähnlich ist, wird zur Alternative für viele. Allein in der vergangenen Woche seien 700.000 Nutzer dazugekommen, teilte das Unternehmen dem Technologieblog „The Verge“ mit. Es ist ein weiterer Schritt. Im Februar kam der Dienst noch auf vier Millionen Nutzer. Mitte September wurde die Marke von zehn Millionen geknackt

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